Religiöse Personen haben weniger Sex, sind aber zufriedener mit ihrem Sexleben

Laut einer britischen Untersuchung haben religiöse Menschen im Schnitt seltener Sex. Bei verheirateten Frauen könnte Religiosität in Zusammenhang mit höherer sexueller Zufriedenheit stehen

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Auf einen Blick

  • Britische Forschende werteten über 15.000 Antworten aus einer repräsentativen Befragung zu sexuellen Einstellungen und Lebensstilen aus.
  • Insgesamt hatten religiöse Personen weniger Sex. Zu einem großen Teil ließ sich dieser Effekt jedoch durch die geringere sexuelle Aktivität unverheirateter religiöser Personen erklären.
  • Ein höheres Maß an Religiosität könnte bei verheirateten Frauen in Zusammenhang mit einer höheren sexuellen Zufriedenheit stehen. Die genauen Zusammenhänge bleiben jedoch unklar.
  • Neurowissenschaftlerin Dr. Nicole Prause führt die höhere Komplexität weiblicher sexueller Erregung als Grund für die höhere sexuelle Zufriedenheit an.
  • Ein höherer Bildungsgrad stand in signifikantem Zusammenhang mit einer niedrigeren Zufriedenheit mit dem Sexleben.

Religionen pflegen mitunter eine ambivalente Sicht auf Sex: Innerhalb der Ehe gilt er oft als heilig, wird aber außerhalb der Ehe oder einer Partnerschaft häufig abgewertet und gilt dort mitunter als Sünde. So legen sowohl römisch-katholische als auch evangelische Glaubensrichtungen, zu denen die Kirche von England gehört, als auch der Islam, hohen Wert auf Keuschheit und eheliche Treue.

Inwiefern Religion und Sexualität zusammenhängen könnten, untersuchten Forschende nun bei der Auswertung einer britischen repräsentativen Befragung. Unter anderem klärten die Wissenschaftler:innen, ob in Sachen Sex Qualität wirklich vor Quantität gehen könnte und untersuchten, welche Rolle die eigenen Werte potenziell im Hinblick auf die sexuelle Zufriedenheit spielen.

40 Prozent der Frauen und 37 Prozent der Männer in Deutschland bezeichnen sich als religiös. Von diesen gibt jede:r Fünfte an, täglich zu beten und nutzt Gebete etwa in Situationen persönlicher Not, für Fürbitten für Familienangehörige oder Freunde sowie in Momenten großer Dankbarkeit.

Studien zum Sex- und Beziehungsleben unter religiösen Personen

Laut einer US-amerikanischen Studie steht Religiosität im Zusammenhang mit positiveren Einstellungen gegenüber einer Heirat und dem Kinderkriegen sowie negativeren Einstellungen gegenüber unverheiratetem Sex und dem Kinderkriegen vor der Ehe.

2016 ergaben Untersuchungen unter US-amerikanischen College-Studierenden, dass religiöse Studierende zwar ebenfalls dateten und unverbindlichen Sex eingingen, aber sich ein niedrigeres Heiratsalter wünschten. Außerdem war es unter religiösen Studierenden deutlich wahrscheinlicher, dass sie Sex innerhalb langfristiger Beziehungen hatten und innerhalb einer Beziehung länger bis zum ersten Geschlechtsverkehr warteten.

Entscheidend dürfte auch die Unterscheidung zwischen intrinsisch und extrinsisch motivierter Religiosität sein. So legt eine Studie aus dem Jahr 2020 nahe, dass sich Religion bei verheirateten Paaren positiv auf die Häufigkeit von Sex auswirken könnte, wenn diese intrinsisch motiviert ist, also in erster Linie im Sinne innerer Spiritualität oder privater Gebete in den eigenen vier Wänden anstatt dem Besuch von Gottesdiensten definiert wird.

Zur Durchführung der Studie

Als Grundlage für die Untersuchung dienten Daten einer britischen repräsentativen landesweiten Umfrage zu sexuellen Einstellungen und Lebensstilen. Verwendet wurden Antworten aus der dritten Runde der Studie, die von 2010 bis 2012 erhoben wurden.

Insgesamt wurden Angaben von über 15.000 Teilnehmer:innen berücksichtigt, wobei 11 Prozent der Männer und 16 Prozent der Frauen Religion und religiösen Überzeugungen einen sehr hohen Stellenwert in ihrem Leben einräumten.

Während ein Teil der Befragung über persönliche Interviews stattfand, wurden sensiblere Fragen zu sexuellen Erfahrungen und sexuellen Funktionen mithilfe computergestützter Interviews erhoben, um möglichst wahrheitsgemäße Angaben zu erhalten.

Welche Daten wurden in der vorliegenden Studie berücksichtigt?

Da die Religiosität gerade im Jugendalter Schwankungen unterliegen kann, wurden lediglich Antworten von Personen ab 18 Jahren in die Analyse aufgenommen. Außerdem lag die obere Altersgrenze bei 60 Jahren, da die Häufigkeit sexueller Aktivität, nicht zuletzt auch wegen zunehmender gesundheitlicher Einschränkungen, mit steigendem Alter tendenziell abnimmt.

Um darüber hinaus Verzerrungen zu minimieren, wurden ebenfalls Faktoren wie der subjektive Gesundheitsstatus, der Beziehungsstatus oder das Vorhandensein von Kindern im Haushalt berücksichtigt.

Außerdem schlossen die Wissenschaftler:innen in der Untersuchung lediglich Teilnehmer:innen ein, die sich nur oder hauptsächlich zu Menschen des anderen Geschlechts hingezogen fühlten. Damit wurden die Angaben von 2 Prozent der Personen nicht berücksichtigt.

Die Ergebnisse der Studie: Zur Sex-Quantität …

Religöse Personen hatten weniger Sex als jene, die Religion in ihrem Leben einen geringeren oder keinen Stellenwert einräumten. Dies war sowohl dann der Fall, wenn Religiosität anhand subjektiver Einschätzung definiert wurde, als auch wenn dies anhand des Besuches von Gottesdiensten stattfand.

Größtenteils ließ sich die geringere sexuelle Aktivität dadurch erklären, dass religiöse Personen, die nicht mit einer Person in einer Beziehung zusammenlebten, signifikant seltener Sex hatten als weniger religiöse Personen mit der gleichen Ausgangssituation.

… und zur Sex-Qualität

Insgesamt war Religiosität mit einem höheren Maß an Zufriedenheit mit dem eigenen Sexleben verbunden. Allerdings unterschieden sich diese Effekte je nach Geschlecht und Beziehungsstatus:

Betrachtete man den Effekt getrennt nach Geschlechtern, war er nur für verheiratete Frauen signifikant, während bei verheirateten religiösen Männern keine größere sexuelle Zufriedenheit festgestellt werden konnte.

Darüber hinaus schien sich nur die intrinsisch motivierte Religiosität potenziell auf die sexuelle Zufriedenheit auszuwirken, womit sich die Befunde einer früheren Studie bestätigen: Nahmen die Wissenschaftler:innen anstatt der subjektiven Religiosität den Besuch von Gottesdiensten als Maßstab, ließen sich über verschiedene Beziehungsformen hinweg keine signifikanten Unterschiede in der sexuellen Zufriedenheit feststellen.

Drei weitere Erkenntnisse der Untersuchung

Abseits von Religiosität stellten die Wissenschaftler:innen bei der Auswertung der repräsentativen Studie zur Sexualität folgende Zusammenhänge fest:

  • Ein höherer Bildungsgrad stand in signifikantem Zusammenhang mit einer niedrigeren Zufriedenheit mit dem Sexleben. Während die Ursachen hierfür unklar bleiben, vermuten die Wissenschaftler:innen als beteiligte Faktoren unter anderem eine höhere Arbeitsbelastung und ein höheres Maß an arbeitsbedingtem Stress.
  • Sowohl „zu wenig“ als auch „zu viel“ Sex könnten also zu einer geringeren Zufriedenheit mit dem Sexualleben führen: Während die sexuelle Zufriedenheit mit der Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs zunahm, war sie bei einer höheren Häufigkeit von Sex wieder rückläufig.
  • Sowohl bei Männern als auch bei Frauen standen eine höhere Zustimmung zu Gelegenheitssex oder Sex ohne Liebe im Zusammenhang mit einer niedrigeren sexuellen Zufriedenheit.

Studie lässt nur begrenzte Schlüsse zu

Mit dem Zusammenhang von Sexualität und Religiosität widmet sich die nun erschienene britische Untersuchung einem Feld, das bisher vorwiegend in US-amerikanischen Studien untersucht wurde, während Religiosität in den USA allerdings eine deutlich größere Rolle spielt, als sie es in Europa und auch in Deutschland tut. Darüber hinaus ist positiv festzuhalten, dass die Wissenschaftler:innen für ihre Auswertungen national repräsentative Daten heranzogen.

Nichtsdestotrotz warnt Dr. Nicole Prause, Neurowissenschaftlerin an der Universität von Kalifornien und Inhaberin eines unabhängigen Forschungsinstituts zu sexueller Gesundheit, bei der Interpretation der Ergebnisse vor voreiligen Schlüssen.

Während die sexuelle Zufriedenheit bei religiösen Personen im Durchschnitt höher war, dürfe nicht vergessen werden, dass dieser Effekt nicht durchgängig beobachtet werden konnte. So standen Religiosität und sexuelle Zufriedenheit nur bei verheirateten Frauen, nicht aber bei Männern in einem Zusammenhang. Da darüber hinaus keine Kausalitäten festgestellt werden konnten, seien mögliche Schlüsse aus der Untersuchung begrenzt.

Eine wertvolle Information, welche die Untersuchung bereithält, liegt laut Prause jedoch in der potenziellen Bedeutung von Werten im Hinblick auf Sexualität.

Der Stellenwert von Werten bei der Wahrnehmung von Sex

Sofern sexuelle Handlungen keine Einwilligungs- oder Sicherheitsgrenzen verletzten, dürfte eine mit den eigenen Werten übereinstimmende Sexualität laut der Neurowissenschaftlerin zu einem erfüllenderen Sexleben führen. Entsprechende Werte könnten ihre Wurzeln nicht nur in der Religion haben, sondern sich etwa auch aus der Familiengeschichte, Erziehung, Einflüssen Gleichaltriger, den Medien oder anderen Quellen speisen.

Als Erklärung für die Unterschiede zwischen der sexuellen Zufriedenheit religiöser und nicht religiöser Frauen sieht Prause in diesem Zusammenhang die höhere Komplexität weiblicher sexueller Erregung.

„Wir verfügen über umfangreiche Daten, die zeigen, dass die Definition von „sexueller Erregung“ bei Frauen im Durchschnitt viel weiter gefasst ist als bei Männern. Diese Studie verdeutlicht wahrscheinlich einen weiteren geschlechtsspezifischen Unterschied in der Definition von „befriedigendem“ Sex bei Männern und Frauen“, führt die Neurowissenschaftlerin aus.

So könnten religiösere Frauen ehelichen Sex auf Basis ihrer Werte anders beurteilen und mehr Wert auf einen festen Partner legen, der ihre religiösen Werte teile, als etwa einen Orgasmus. Befrage man religiöse und nicht religiöse Frauen hinsichtlich der Zufriedenheit mit ihrem Sexleben, geht es damit weniger um die Frage, welcher Sex objektiv „besser“ sei, sondern um die subjektive Einschätzung und Übereinstimmung mit den eigenen Werten.

Welche Fragen bleiben für zukünftige Untersuchungen offen?

In der Untersuchung wurden lediglich heterosexuelle oder überwiegend heterosexuelle Personen berücksichtigt. Hier wären weitergehende Untersuchungen jedoch von besonderem Interesse, da Religionen ein mitunter restriktives Verhältnis gegenüber Personen pflegen, die von traditionellen Vorstellungen von Sexualität abweichen.

Da es sich bei den Antworten in der vorliegenden Studie lediglich um Momentaufnahmen handelte, könnten Längsschnittstudien darüber hinaus dabei helfen, potenzielle Zusammenhänge zwischen Sexualität und Religiosität sowie die Voraussetzungen für sexuelle Zufriedenheit besser zu verstehen.

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