Wo beginnt eigentlich Untreue?
Neue Studienergebnisse zeigen, mit welchen Verhaltensweisen in einer Partnerschaft Betrug beginnt
Aktualisiert am
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Neue Studienergebnisse zeigen, mit welchen Verhaltensweisen in einer Partnerschaft Betrug beginnt
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Untreue kann eine Beziehung stark belasten und zu Vertrauensproblemen bis hin zu Trennung oder Scheidung führen und das Selbstwertgefühl der betrogenen Person mindern.
Doch wo beginnt eigentlich Untreue in einer Partnerschaft? Geht der eigene Partner bzw. die eigene Partnerin mit einer anderen Person ins Bett, dürften das die meisten Menschen als Betrug verstehen – insofern keine polyamoröse Beziehung besteht oder andere Vereinbarungen getroffen wurden.
Können allerdings auch Verhaltensweisen, die ohne körperlichen Kontakt einhergehen und eigentlich keine ernstzunehmende “Bedrohung” für die Partnerschaft darstellen, in die Kategorie Betrug fallen?
Würdest du es Betrug nennen, wenn dein Partner oder deine Partnerin auf einen kleinen Online-Flirt mit einer anderen Person eingeht, die zuvor sein oder ihr Foto auf Instagram geliked hat? Und fällt eine lange, innige Umarmung mit einem sehr guten Freund bereits unter Betrug?
Unterscheiden sich hier womöglich die Meinungen zwischen Männern und Frauen?
Selbst Experten wie Beziehungstherapeuten sind sich nicht ganz einig, wo Untreue beginnt.
Für Stephen M. Drigotas zum Beispiel, der als Beziehungstherapeut und Psychologieprofessor an der Johns Hopkins University in den USA tätig ist, liegt Untreue vor, wenn eine Person das Gefühl hat, dass der Partner bzw. die Partnerin Absprachen innerhalb der Beziehung verletzt hat. Und zwar indem er oder sie mit einer dritten Person interagiert und durch die Verletzung solcher Regeln sexuelle Eifersucht und Rivalität hervorgerufen wird.
Eine solche Definition bezieht sich allerdings auf Beziehungsregeln, die Paare individuell für sich festlegen. Daher ist nicht klar, wie solche Regeln gestaltet sind, sodass sie sich auch nicht auf die Allgemeinheit übertragen lassen.
Zwei Wissenschaftlerinnen von der Fakultät für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität München wollten es genauer wissen und führten eine Umfrage mit 9.104 Personen durch. Die Studienteilnehmenden wurden durch Zufall ausgewählt.
Den Studienteilnehmenden wurden verschiedene Verhaltensweisen beschrieben:
Die Studienteilnehmenden sollten Angaben darüber machen, ob sie diese Verhaltensweisen als Untreue einstufen.
Außerdem interessierte die Forscherinnen, ob es Verhaltensweisen gibt, die erst bei gemeinsamen Auftreten als Untreue gelten, unabhängig voneinander aber nicht.
Die im Journal of Sex Research veröffentlichten Studienergebnisse machen deutlich, dass Geschlechtsverkehr mit einer anderen Person in der Regel unabhängig vom Kontext als Untreue eingestuft wird.
Die Ergebnisse zeigen auch, dass Untreue nicht nur auf Geschlechtsverkehr außerhalb einer Beziehung beschränkt ist.
Untreue ist ein komplexes Thema. Oft ist es abhängig vom Kontext, ob Verhaltensweisen als Betrug gelten. In vielen Fällen wird Untreue erst durch das gemeinsame Auftreten mehrerer Verhaltensweisen als solche definiert.
Die Verhaltensweisen, die die Studienteilnehmenden Untreue zuordneten, lassen sich vier Kategorien zuordnen:
Die Studienautorinnen stellten fest, dass die jüngeren Studienteilnehmenden beschriebene Verhaltensweisen eher als Untreue einstuften als ältere Befragte.
Insbesondere Online-Flirts wurden von den jüngeren Befragten als Betrug eingeordnet. Diese Ergebnisse überraschten die Studienautorinnen, da sie davon ausgingen, dass jüngere Generationen ihre Liebesbeziehungen in der Regel lockerer und kompromissbereiter gestalten.
Die beiden Soziologinnen halten es für möglich, dass die jüngeren Studienteilnehmenden noch wenige sexuelle und partnerschaftliche Erfahrungen gemacht hatten und möglicherweise deshalb weniger extreme Verhaltensweisen als Untreue einordneten.
Dass Männer und Frauen keine unterschiedlichen Meinungen darüber hatten, was als Untreue gilt, hatten die Studienautorinnen ebenfalls nicht erwartet. Sie gingen davon aus, dass das Verhalten von Frauen häufiger als Untreue eingestuft wird als das von Männern.
Die Analysen zeigen auch, dass Frauen die verschiedenen Verhaltensweisen tendenziell strenger beurteilten als Männer.
Anders als bei Studien aus vergangenen Jahren konnte nicht festgestellt werden, dass Männer emotionale Untreue (im Vergleich zu sexueller Untreue) strenger beurteilen als Frauen. Im Allgemeinen werteten Männer und Frauen die potenziell untreuen Verhaltensweisen ähnlich.
Dies widerspricht allerdings Forschungsergebnissen, die an die Evolutionstheorie der Eifersucht anlehnen. Diese geht nämlich davon aus, dass Männer es strenger beurteilen, wenn die Partnerin sexuell untreu ist. Bei emotionalen Beziehungen machen sich Männer hingegen weniger Sorgen, da hier nicht die Gefahr einer Schwangerschaft besteht. Diese würde nämlich das Risiko mit sich bringen, dass dem Nachwuchs eines Rivalen das Erbe zugeteilt wird.
Das Bestehen einer emotionalen Bindung zu einer anderen Person empfanden allerdings sowohl Männer als auch Frauen bedenklich.
Die Studie der beiden Soziologinnen aus München macht deutlich, dass nicht nur außerpartnerschaftlicher Sex und inniger körperlicher Kontakt mit Untreue gleichzusetzen sind. Auch emotionale Intimität mit einer anderen Person ist eine Form des Betrugs.
Allerdings könnte es sein, dass Studien, die Teilnehmende aus verschiedenen Kulturen miteinbeziehen, zu anderen Ergebnissen kommen. Die Stichprobe der vorliegenden Studie bestand fast nur aus Deutschen. Es wäre durchaus spannend herauszufinden, ob in anderen Kulturen das Verhalten von Frauen häufiger als Untreue eingestuft wird als das von Männern.
Da diese Studie nur auf monogame und heterosexuelle Paare beschränkt war, wäre es auch interessant zu erfahren, ob eine Studie mit Personen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen zu anderen Ergebnissen kommt.
Auch die Einstellungen älterer Generationen könnten untersucht werden.
Die Studie führte uns zu der Frage, ob und wie Untreue eigentlich verhindert werden kann. Wir haben zu diesem Thema ein Interview mit Heather Wilson geführt, einer Beziehungsexpertin und lizenzierten klinischen Sozialarbeiterin aus den USA.
Auf unsere Frage, wie man es verhindern kann, dass man dem eigenen Partner oder der eigenen Partnerin eines Tages untreu wird, antwortete sie: „Eine starke Bindung zwischen zwei Partnern oder Partnerinnen sowie ein ehrlicher Umgang miteinander sind die beste Vorbeugung gegen Untreue.“
Kommunikation sei das A und O. Offene und ehrliche Gespräche mit dem Partner bzw. der Partnerin über die gegenseitigen Erwartungen und Grenzen innerhalb der Beziehung können laut der Beziehungsexpertin beiden Partner:innen helfen, gegenseitiges Verständnis füreinander zu entwickeln. Dies soll helfen, die Beziehung aufrechtzuerhalten.
Außerdem sei es wichtig, über seine Gefühle zu sprechen. Auch in diesem Punkt mache es eine offene Kommunikation möglich, Konflikte in einer Partnerschaft zu lösen, bevor sie zu echten Problemen werden.
„Wenn man den Drang verspürt, untreu zu werden, ist es wichtig, ehrlich zu sich selbst zu sein und die Beweggründe für dieses Verhalten zu erforschen“, rät Heather Wilson.
„Es ist hilfreich, ein gesundes Gleichgewicht zwischen körperlicher und emotionaler Intimität in der Beziehung anzustreben. Wenn einer dieser beiden Bereiche vernachlässigt oder ignoriert wird, kann das zu Gefühlen der Trennung führen, die ein größeres Verlangen nach Erfüllung außerhalb der Beziehung hervorrufen können“, führt die Beziehungsexpertin aus.
Um seinem Partner bzw. seiner Partnerin treu sein zu können, sei es zudem wichtig, sich und seiner Gefühlswelt sowie der Beweggründe für bestimmte Entscheidungen bewusst zu sein.
Wenn es aber nun doch zu einer Affäre kommt – kann es dann überhaupt mit einer Partnerschaft weitergehen? Kann eine Beziehung einen solchen Vertrauensbruch überstehen?
Heather Wilson ist überzeugt, dass eine Beziehung selbst nach einem Seitensprung noch eine Zukunft haben kann. Auch hier ist ihrer Meinung eine offene und ehrliche Kommunikation der Schlüssel:
„Wenn eine Person untreu war, ist es wichtig, ein ehrliches und offenes Gespräch darüber zu führen, was passiert ist. Sobald sich beide Partner:innen über die Situation geäußert haben, sollten sie gemeinsam versuchen, das Vertrauen in ihrer Beziehung wiederherzustellen.“
„Dazu kann es gehören, Grenzen zu setzen und gemeinsame Zeit mit Aktivitäten zu verbringen, die eine Beziehung aufbauen. Eine Paarberatung kann ebenfalls helfen, die Beziehungsprobleme zu lösen. Mit etwas Zeit und Mühe kann es möglich sein, die Partnerschaft nach einem Seitensprung fortzuführen“, versichert Wilson.
Personen, die bereits fremdgegangen sind, wird oft nachgesagt, nicht treu sein zu können. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht – oder?
Heather Wilson ist der Meinung, dass die Aussage “Einmal untreu, immer untreu” nicht immer zutrifft: „Es ist möglich, dass eine Person erkennt, wie sehr sie ihren Partner oder ihre Partnerin durch ihre Untreue verletzt hat. Wer an sich arbeitet, kann verhindern, dass so etwas nicht noch einmal passiert.“
„Menschen sind zu Veränderungen fähig und können aus ihren Fehlern lernen, um zukünftig bessere Entscheidungen zu treffen. Indem Ehrlichkeit und Vertrauensbildung zu einer Priorität gemacht werden, kann eine Partnerschaft nach einem Seitensprung wiederaufgebaut werden und ähnliche Situationen können in Zukunft vermieden werden“, so Wilson.
Eine Beziehung steht und fällt mit der Kommunikation. In einer Partnerschaft ist es wichtig, selbst die intimsten Gefühle miteinander zu teilen, auch wenn man damit Gefahr läuft, den Partner oder die Partnerin zu verletzen. Denn wer hört schon gerne von seinem Liebsten oder seiner Liebsten, dass er/ sie sich zu einer anderen Person hingezogen fühlt?
Verspürt man den Drang, fremdzugehen, ist Selbstreflexion gefragt: Welches Bedürfnis erhofft man sich, durch das Fremdgehen zu erfüllen? Ist es körperliche oder emotionale Intimität? Oder gar beides?
Wer offen und ehrlich über die eigenen Gefühle und Bedürfnisse mit dem Partner bzw. der Partnerin spricht, kennt den Schlüssel für Treue in einer Beziehung.
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