Wie wichtig ist Selbstliebe für eine gesunde Beziehung?

Nur wer sich selbst liebt, kann auch andere lieben. Oder?

Aktualisiert am 19. September 2023
Sarah M. Huber

Recherchiert und verfasst von

Sarah M. Huber, Redakteurin

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Überprüft und editiert von

Nina Nguyen

Bedeutung von Selbstliebe fuer eine gesunde Beziehung
In diesem Artikel

Eine gesunde Beziehung zu dir selbst wirkt sich positiv auf deine psychische Gesundheit, deine zwischenmenschlichen Beziehungen und sogar dein Arbeitsleben aus. „Wer sich selbst liebt, kennt seinen eigenen Wert – und zwar nicht nur oberflächlich, sondern tief im Inneren“, betont Laura Wasser, Familienexpertin und Chefin bei Divorce Evolution.

„Es geht nicht darum, egozentrisch zu sein, sondern sich selbst zu schätzen. Wenn du dich selbst wirklich liebst, spiegelt sich das in deinem Verhalten anderen gegenüber wider.“ Jede Beziehung – sowohl romantischer als auch platonischer Natur – profitiert demnach von Selbstliebe. Doch was ist Selbstliebe?

„Stell dir vor, du bist dein:e eigene:r beste:r Freund:in – jemand, der dir zuhört, sich um dich kümmert und für dich da ist. Das ist Selbstliebe“, erklärt Dr. Ryan Sultan, Psychiater, Therapeut und Professor an der Columbia University im Gespräch mit Fraulila.

In diesem Artikel gehen wir auf die Bedeutung von Selbstliebe ein, erforschen den Weg dorthin und zeigen dir, wie du dich täglich ein bisschen mehr selbst lieben kannst.

Was ist Selbstliebe?

Bedeutung von Selbstliebe

Selbstliebe ist ein kontroverses Konstrukt. Während der Begriff in der Vergangenheit mit Narzissmus und Egoismus in Verbindung gebracht wurde, steht Selbstliebe heute für das eigene Wohlbefinden und die eigene Gesundheit. Eine Studie, die 13 Psychotherapeut:innen interviewte, stellte fest, dass sich Selbstliebe auf wissenschaftlicher Ebene heutzutage hauptsächlich durch Folgendes auszeichnet:

  • Selbstkontakt (definiert als sich selbst aufmerksam sein)
  • Selbstakzeptanz (definiert als mit sich selbst im Reinen sein)
  • Selbstfürsorge (definiert als sich selbst schützen und umsorgen)

„Selbstliebe bedeutet, sich selbst zu schätzen und zu respektieren, den eigenen Wert zu erkennen und sich liebenswürdig und verständnisvoll zu behandeln. Es geht nicht nur um Self-Care, sondern um ein tieferes Verständnis und die Akzeptanz dessen, wer du bist“, hält Bayu Prihandito, Psychologieexperte, Lebenscoach und „Life Architekture“-Gründer fest.

Wie finde ich Selbstliebe?

„Der Weg zur Selbstliebe beginnt damit, dass du dir bewusst machst, dass nichts perfekt ist. Du nimmst dich genauso an, wie du bist – mit all deinen Stärken und Schwächen“, beschreibt Psychiater Dr. Stefan Ivantu. „Du priorisiert dein eigenes Glück und Wohlbefinden und kümmerst dich um deine mentale und physische Gesundheit“, ergänzt Dr. Sultan.

„Um Selbstliebe zu finden, solltest du mit Selbstbeobachtung beginnen“, empfiehlt Bayu Prihandito. „Verstehe deine eigenen Gefühle, erkenne deine eigenen Stärken und akzeptiere deine eigenen Schwächen.“

Er empfiehlt Achtsamkeitspraktiken wie:

  • Meditation
  • Atemübungen
  • Tagebuchschreiben

Wenn du bei der Suche nach Selbstliebe etwas Hilfe benötigst, kannst du dir auch eine andere Person – ein Vorbild – suchen, die Selbstliebe erfolgreich praktiziert. „Sei mutig und stelle Fragen: ‚Wie hast du Selbstliebe gefunden? Wie funktioniert Selbstliebe für dich?‘“, rät Dr. Ivantu.

Woher weiß ich, dass ich Selbstliebe gefunden habe?

„Die Suche nach Selbstliebe ist eine Reise in dein Inneres. Wenn du Selbstliebe gefunden hast, wirst du merken, dass du nicht mehr nach äußerer Bestätigung suchst, zufrieden bist und dich in deiner eigenen Hülle wohlfühlst“, kommentiert Laura Wasser. „Du setzt dein Wohlbefinden nicht für andere aufs Spiel.“

Laut Bayu Prihandito hast du Selbstliebe gefunden …

  • …, wenn du dich Herausforderungen stellen kannst, ohne dir Vorwürfe zu machen.
  • …, wenn du deine Erfolge feiern kannst, ohne dich schuldig zu fühlen.
  • …, wenn du Grenzen setzen kannst, ohne dich egoistisch zu fühlen.

„Nehmen wir etwa an, du warst schon immer ein Menschenfreund und hast Plänen zugestimmt, selbst wenn du erschöpft und müde warst. In dem Moment, in dem du anfängst, Nein zu sagen, um deine eigene Energie und Ruhe zu wahren, beginnt deine Selbstliebe“, erklärt Dr. Sultan beispielhaft.

Selbstliebe zu finden, ist der erste Schritt. Der zweite und viel schwierigere Schritt ist Selbstliebe nachhaltig und dauerhaft zu spüren und praktizieren. Wichtig ist, dass du dir täglich ein bisschen Selbstliebe schenkst. Egal, ob es sich dabei um eine Stunde und lediglich zehn Minuten handelt. Du nimmst dir Zeit, um dich so zu lieben, wie du bist – und das jeden Tag!

6 Empfehlungen für tägliche Selbstliebe

„Tägliche Selbstliebe beansprucht nicht mehr als zehn Minuten pro Tag und kann dennoch dein ganzes Leben auf den Kopf stellen“, lächelt Dr. Sultan. „Egal, ob es sich dabei um Affirmationen, dein Leibgericht oder komplexere Maßnahmen wie das Setzen langfristiger Ziele zur persönlichen Weiterentwicklung handelt – praktiziere täglich zumindest ein paar Minuten lang Selbstliebe.“

„Höre auf deinen Körper und deinen Geist und gib ihnen das, was sie brauchen. Wir alle haben mal einen schlechten Tag, aber es ist die Art und Weise, wie wir uns in diesen Zeiten aufraffen und uns selbst behandeln, die die Selbstliebe wirklich ausmachen“, ergänzt Laura Wasser.

Im Gespräch mit unseren Expert:innen nennen Bayu Prihandito, Dr. Ivantu, Dr. Sultan und Marissa Moore, US-amerikanische Coachin und Therapeutin folgende Tipps für tägliche Selbstliebe:

Positive Affirmationen

Beginne deinen Tag mit Affirmationen oder Momenten der Dankbarkeit. Hinterfrage Selbstkritik und ersetze sie durch Selbstliebe und positive Gedanken über dich.

Affirmationen sind für dich noch Neuland? Kein Problem! Auf YouTube gibt es viele Videos mit positiven Gedanken für mehr Selbstliebe, Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein.

Self-Care-Routine

Nimm dir Zeit für ein bisschen Self-Care, wie lesen, meditieren, einen Wellness-Tag oder einen Spaziergang in der Natur. Wichtig ist, dass du etwas machst, dass dein körperliches, geistiges und/oder emotionales Wohlbefinden fördert und deine Seele nährt.

Wenn du noch nicht so genau weißt, wie du deine eigene Self-Care-Routine entwickelst, dann beginne mit „Self-Care made simple“. Auf YouTube findest du außerdem unzählige weitere Videos zum Thema.

Sei offline

Es ist leicht, in die Vergleichsfalle zu tappen. „Niemand ist perfekt – auch wenn die sozialen Medien in der heutigen Zeit etwas anderes behaupten“, kommentiert Dr. Ivantu. Denke daran, dass jeder Mensch einen anderen Weg geht. Versuche wortwörtlich abzuschalten und das Leben offline zu genießen.

Feiere (kleine) Erfolge

Ganz egal, wie groß oder klein der Erfolg auch sein mag, er verdient es, gefeiert zu werden. Als Selbstliebe-Praxis bedeutet das, tägliche Erfolge zu würdigen, das Selbstvertrauen und die Motivation zu stärken und dein Verhalten für kontinuierliches Wachstum zu verbessern.

Morgen-Routine

„Der frühe Vogel fängt den Wurm.“ Auch wenn du eher Morgenmuffel statt Frühaufsteher:in bist, solltest du die ersten Stunden des Tages nicht unterschätzen. „Die meisten Menschen erledigen 80 % der Aufgaben in 20 % der Zeit. Daher kann eine Investition in die Morgenstunden den entscheidenden Unterschied machen“, erklärt Dr. Ivantu.

„Insbesondere das morgendliche Scrollen durch sämtliche Social-Media-Kanäle lässt sich leicht durch eine nährende Praxis ersetzen“, findet Dr. Sultan. „Mach einen Morgenspaziergang oder lies einen inspirierenden Artikel, um den Tag richtig zu starten.“

Dein Lieblingsgericht

Deine Ernährung wirkt sich direkt auf deine Gesundheit aus – sowohl psychisch als auch physisch. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass bestimmte Lebensmittel die Glückshormone in unserem Körper fördern, was wiederum Stress reduziert und uns im Allgemeinen glücklicher macht. Verwöhne dich also gelegentlich selbst mit deinem Lieblingsgericht oder einer anderen ausgiebigen Mahlzeit.

Was zeichnet eine gesunde Beziehung aus?

„Gesunde Beziehungen beruhen auf gegenseitigem Vertrauen, offener Kommunikation und Verständnis. Sie lassen Wachstum und Individualität zu und bieten ein ausgewogenes Verhältnis von Geben und Nehmen“, unterstreicht Bayu Prihandito.

Dr. Ivantu hebt die Wichtigkeit von gegenseitigem Respekt und das Teilen ähnlicher Werte hervor. Dennoch betont er, dass es keine einheitliche Definition einer gesunden Beziehung gebe. „Das Konzept einer gesunden Beziehung kann sehr unterschiedlich dargestellt werden und sich je nach Generation ändern. Was für dich gesund bedeutet, muss nicht zwingend für alle anderen gelten.“

„In einer gesunden Beziehung unterstützen sich die Partner:innen dabei, ihre eigenen Interessen außerhalb der Beziehung zu verfolgen. In einer toxischen Beziehung hingegen kann sich ein:e Partner:in erdrückt oder kontrolliert fühlen und nicht in der Lage sein, sich persönlich weiterzuentwickeln oder sogar Freundschaften außerhalb der Beziehung zu schließen“, hält Dr. Sultan fest.

Laut Bayu Prihandito sind toxische Beziehungen oft mit Manipulation, fehlenden Grenzen, ständiger Kritik oder Kontrolle verbunden. „Eine Beziehung sollte dein Leben verbessern und nicht belasten.“ „Ein wichtiger Indikator für eine gesunde Beziehung ist, wie sie deine Beziehung zu dir selbst ergänzt“, fügt Laura Wasser hinzu.

Warum ist Selbstliebe so wichtig für eine gesunde Beziehung?

„Selbstliebe ist die Grundlage für jede gesunde Beziehung. Wenn du dich selbst liebst, entscheidest du, wie du behandelt werden willst. Du gibst dich nicht mit weniger zufrieden, als du verdient hast“, hebt Bayu Prihandito hervor. „Außerdem suchst du nicht nach Bestätigung durch andere, sondern genießt eine Beziehung, die auf gegenseitiger Wertschätzung und nicht auf Abhängigkeit beruht.“

Laut einer kanadischen Studie wirken sich sowohl das eigene Selbstwertgefühl als auch die wahrgenommene Wertschätzung in einer Beziehung auf die Zufriedenheit der Partner:innen aus.

Wenn du ein geringes Selbstwertgefühl hast und in einer Beziehung bist, in der deine Bedürfnisse zweitrangig sind, leidet auch dein Liebesleben darunter. Übst du dich hingegen in Selbstliebe und vertrittst selbstbewusst deine Bedürfnisse, wirkt sich das positiv auf deine Beziehung aus. Dein:e Partner:in behandelt dich mit dem Respekt, den du immer verdient, aber nie eingefordert hast.

„Ohne Selbstliebe könntest du dich in Beziehungen wiederfinden, in denen du schlecht behandelt wirst. Selbstliebe wirkt wie eine Schutzbarriere, die sicherstellt, dass du nur nährende und positive Beziehungen in dein Leben lässt“, ergänzt Laura Wasser.

„Bist du mit dir selbst zufrieden, fördert das euer gemeinsames Beziehungsglück. Deine positive Energie färbt ab und die Qualität deiner Beziehung steigt“, meint Dr. Sultan.

11 Tipps für eine gesunde Beziehung zu dir selbst

„Je mehr du in Selbstliebe und Selbstfürsorge investierst, desto stärker ist deine Grundlage für alle anderen Beziehungen“, bekräftigt Laura Wasser. Im Gespräch mit ihr und Bayu Prihandito, Dr. Ivantu, Dr. Sultan sowie Marissa Moore kristallisieren sich folgende Tipps für eine gesunde Beziehung zu dir selbst heraus:

1. Praktiziere Achtsamkeit

Achtsamkeitsmeditation hilft dir, präsent zu bleiben und deine Gefühle besser zu verstehen. Zudem entwickelst du ein Bewusstsein für den gegenwärtigen Moment und lebst nicht länger in der Vergangenheit oder Zukunft. Wer Achtsamkeit übt, übt sich auch in Selbstwahrnehmung.

2. Führe Tagebuch

Schreib deine Gefühle, Gedanken, Erfolge und Dinge, für die du dankbar bist, auf. Deine Notizen sind dein Werkzeug zur Selbstbeobachtung.

3. Übe dich in Selbstwahrnehmung

Denke über deine Gedanken, Gefühle und Wünsche nach und verstehe, was dir Freude und Erfüllung bringt.

4. Sei dein:e beste:r Freund:in

Anstatt dich nach einem Fehler in Selbstmitleid und -kritik zu suhlen, behandelst du dich selbst genauso, wie du deine:n beste:n Freund:in behandeln würdest – mit Verständnis und neuen Perspektiven.

5. Akzeptiere Unperfektes

Nimm dich an, genauso wie du bist. Niemand ist perfekt und Fehler sind eine Chance für Wachstum.

6. Vergib dir selbst

Lass Fehler aus der Vergangenheit und Gegenwart los und schenke dir selbst das Mitgefühl, dass du anderen Menschen entgegenbringen würdest.

7. Setze klare Grenzen

„Insbesondere in Bezug auf die Arbeit fällt es uns immer schwerer, klare Grenzen zu ziehen. Wir checken E-Mails nach Feierabend und scrollen nervös am Handy, obwohl wir eigentlich schlafen sollten“, kommentiert Dr. Ivantu.

Lerne, Nein zu sagen. Dabei geht es nicht darum, egoistisch zu sein, sondern dich selbst zu wahren. Lege klare Grenzen für dich fest und kommuniziere diese auch mit anderen.

8. Treibe ausreichend Sport

Sport hilft dir, mit deinem eigenen Körper in Kontakt zu kommen, dich zu spüren und deine persönlichen Grenzen zu testen.

9. Nimm dir Zeit für Quality-Time

Heutzutage kann gar nichts schnell genug gehen. Doch Stress wirkt sich auf dein Wohlbefinden und deine Beziehung (zu dir selbst und deinem/deiner Partner:in) aus. Nimm dir Zeit für dich selbst oder für euch als Paar. Stelle sicher, dass deine/eure Quality-Time oberste Priorität hat. Dazu können etwa Hobbys und andere Aktivitäten zählen, die dir/euch Spaß machen.

10. Umgib dich mit dem, was dir guttut

Umgib dich mit Menschen, die positive Energie und Lebensfreude ausstrahlen. Verbringe Zeit mit Freund:innen, die dich unterstützen und hinter dir stehen. Auch Aktivitäten, die dich stärken und dir neue Kraft geben, tragen essenziell zu mehr Selbstliebe bei.

11. Mach Platz für Selbstreflexion

Manchmal läuft nicht alles nach Plan. Doch anstatt dir selbst die Schuld zu geben, übe dich in Selbstreflexion und Selbstverantwortung. Lerne aus deinen Misserfolgen und nutze die Chance, um zu wachsen.

Selbstreflexion kann viele Formen annehmen: Das kann ein Tagebuch, ein Wochenberichtoder ein regelmäßiges Treffen mit einem/einer vertrauenswürdigen Freund:in sein, um euch über eure Erfahrungen und Herausforderungen zu unterhalten.

Fazit: Ich liebe mich, um dich zu lieben

„Der Aufbau einer gesunden Beziehung zu sich selbst ist ein fortlaufender Prozess. Wie in jeder Beziehung braucht es dafür Zeit, Mühe und ständige Selbstreflexion. Wenn du deine Selbstliebe stärkst, baust du ein starkes Grundgerüst für Beziehungen zu anderen auf“, fasst Marissa Moore zusammen.

Selbstliebe ermöglicht nicht nur gesunde Beziehungen, sondern unterstützt auch deine psychische Gesundheit, deine Zufriedenheit und dein Wohlbefinden. Bevor du an Beziehungen zu anderen denkst, gib der wichtigsten Beziehung von allen den Vorrang: der Beziehung zu dir selbst.

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