Masturbation im Wandel der Zeit
Das österreichische Strafgesetzbuch sah sogar Stockschläge, Peitschenhiebe oder gar Folter als Bestrafung vor
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Das österreichische Strafgesetzbuch sah sogar Stockschläge, Peitschenhiebe oder gar Folter als Bestrafung vor
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Den eigenen Körper lustvoll zu entdecken und durch manuelle Reize oder Sex-Toys zu stimulieren, gilt heute als wichtiger Baustein einer gesunden Entwicklung. Auch als Variante der Lustbefriedigung ist Masturbation anerkannt. Doch diese Zugeständnisse sind erstaunlich junger Natur, denn noch vor wenigen Jahrzehnten zählte DIY-Liebe zu den möglichen Auslösern schwerwiegender Erkrankungen.
Begleite uns auf einen Streifzug durch die Geschichte und urteile selbst, wieviel entspannter Auto-Erotik heute sein kann…
Die Hochkultur der Griechen und Römer war von vielen moralischen Freizügigkeiten geprägt. Auf sexuellem Gebiet aber herrschten einige Tabus. Das Rechtssystem sah empfindliche Strafen für Entblößungen oder sexuelle Handlungen in der Öffentlichkeit vor.
Folglich empfanden es die Zeitgenossen des Philosophen Diogenes als höchste Provokation, dass der Denker im Zentrum des Athener Marktplatzes masturbierte. Zur Rede gestellt gab er an, natürliche Verhaltensweisen über erzieherische Maßnahmen stellen zu wollen.
Diese Auffassung entsprach den Lehren des Kynismus – einer philosophischen Strömung mit vergleichsweise wenigen Anhängern. Ob Auftritte wie der oben genannte daran schuld waren, ist nicht überliefert.
Ganz so salopp wie bei den Kynisten ging es im Mittelalter nicht zu – aber auch nicht so düster, wie du jetzt vielleicht denkst. Das sogenannte “finstere Zeitalter” endete bereits im 15. Jahrhundert – weit vor den Hochphasen der Hexenverfolgung und anderen kirchlichen Dogmen.
Bis dahin herrschte ein recht hohes Maß an Heiterkeit und Freizügigkeit – das sich unter anderem durch feucht-fröhliche Badeorgien bemerkbar machte. Dabei stiegen Personen jeden Alters und Geschlechts miteinander in dieselben Zuber; Körperkontakt inklusive.
So weit, so nett. Doch das dichte Beieinander förderte nicht nur Lust und Entspannung – sondern auch Haut- und Geschlechtskrankheiten. Ihre Verbreitung wurde dem Wasser zugeschrieben, sodass Waschen und Körperpflege zum großen Übel mutierten, das unbedingt zu vermeiden war.
Diverse Erlasse der römisch-katholischen Kirche machten ohnehin bald Schluss mit dem gemeinsamen Badespaß. Ab etwa 1500 galt jede Form des körperlichen Vergnügens, sofern es nicht der Fortpflanzung diente, als Sünde. Auf nahezu alle sexuellen Praktiken, Stellungen oder Experimente standen schwere Strafen.
Andererseits ist bekannt, dass der Leibarzt Ludwigs XIII. Masturbation als Beruhigungsmittel empfahl. Er soll Kindermädchen ermuntert haben, ihnen anvertraute Knaben im selbstständigen “Kitzeln des Penis” zu unterweisen.
Diese Zwiespältigkeit lebte in den zahlreich entstehenden Bordellen fort: Hier hatte der sogenannte Hurenweibel das Sagen und konnte sogar eigene Gesetze erlassen. Viele Männer nutzten das aus, um die draußen herrschenden Regeln zu brechen – sprich: Sex aus reiner Lust zu haben oder gepflegt zu masturbieren.
Ab etwa 1700 geriet Masturbation auch abseits kirchlicher Lehren in die Kritik. Sie galt als Verhalten, das eine große soziale Gefahr darstellte. Befeuert wurde diese These durch die 1712 veröffentlichte Schrift Onania or the Heinous Sin of Self-Pollution – Onanie oder die abscheuliche Sünde der Selbstbeschmutzung.
Darin behauptete ihr Urheber John Martens, dass häufige Selbstbefriedigung Krankheiten verursacht. Viele Menschen glaubten diese Behauptungen; darunter auch die großen Gelehrten ihrer Zeit. Sie übernahmen die Aussagen in ihre eigenen Werke und trugen so zur massenhaften Verbreitung des Irrglaubens bei.
Zum berühmtesten Wiederkäuer der falschen Lehre wurde der Schweizer Arzt Samuel Auguste Tissot. Seine 1760 verfasste Dissertation sur les maladies produits par la masturbation (Abhandlung über Krankheiten durch Masturbation) etablierte sich als Standardwerk und wurde mehrfach nachaufgelegt.
Im österreichischen Strafgesetzbuch Constitutio Criminalis Theresiana wurde Masturbation ab 1768 als “Unkeuschheit wider die Natur” aufgeführt und durch die damals üblichen Leibesstrafen geahndet – also mit Stockschlägen, Peitschenhieben oder gar Folter bestraft.
Zunehmende wissenschaftliche Erkenntnisse machten nicht etwa Schluss mit falschen Behauptungen – sondern verschoben sie nur in weniger erforschte Gebiete. Nachdem Mediziner verschiedene Krankheitserreger isolieren konnten, war Masturbation als Ursache für Seuchen ausgeschlossen.
Dafür gewann sie eine neue “Bedeutung” im neurologischen und psychiatrischen Bereich. Selbst die besten Ärzte gingen davon aus, dass Selbstbefriedigung zu Rückenmarksschwund mit daraus resultierender Gehirnerweichung führte. Auch wahnsinnig zu werden war eine beliebte Theorie.
Am häufigsten aber drohte masturbierenden Jugendlichen der moralische Verfall. Die praktizierte Selbstliebe sollte sie egoistisch und unfolgsam, wenn nicht gar völlig disziplinlos machen. Auch das Sozialverhalten würde leiden – weil Personen, der sich selbst befriedigen, keine Sexual- oder Ehepartner*innen brauchten.
Als Katalysatoren für den Wunsch zu masturbieren führten Erziehungsberechtigte die unterschiedlichsten Gründe an. Neben zu weichen Betten, zu warmer Kleidung und zu gutem Essen galten Bewegungsmangel, hochgeistige Literatur und Freude an schönen Dingen als Hauptursache für den Drang, sich selbst zu berühren. Ebenso verdächtig war es tiefe Gefühle zu zeigen oder sich nach Glück zu sehnen.
Das Schlimmste an diesen nachweisbar falschen Aussagen waren die Maßnahmen, die unerwünschte Masturbation verhindern sollten. Schlafentzug und Hungerkuren, Aufenthalte in der Kälte und übermäßiges Waschen galten als probate Mittel, ein vollkommen natürliches Bedürfnis zu unterdrücken. Halfen sie nicht, wurden den “Sündern” Fesseln oder spezielle Leibwäsche angelegt.
Das gesellschaftliche Umfeld mutmaßlich masturbierender Kinder war angehalten, auf etwaige Anzeichen zu achten, sodass Heranwachsende unter ständiger Beobachtung standen und eine diffuse Furcht vor ihrer Geschlechtlichkeit entwickelten. Die Folgen davon waren ein vollkommen gestörtes Verhältnis zum eigenen Körper, zur Sexualität im Allgemeinen und zum persönlichen Lustempfinden.
Falls du an dieser Stelle hoffst, die Zustände würden sich bessern, müssen wir dich enttäuschen: Bis weit in die moderne Zeit hinein behielt Masturbation ihren schlechten Ruf. Im Rahmen der neu entwickelten Psychoanalyse wurde sie als “Ursucht” anerkannt, aber weiterhin für schädlich gehalten.
Erst die Arbeit des US-amerikanischen Sexual-Wissenschaftlers Alfred Charles Kinseyund die Experimente des Gynäkologen William Howell Masters brachten überzeugten “Handwerkern” auch in gesellschaftlicher Hinsicht etwas Entspannung.
Doch noch in den 1980er-Jahren galt zu masturbieren als unreif und als Hauptauslöser für Akne. Tools, die die Handlung unterstützen halfen, wurden abwertend als Trucker-Pussy oder Seemannsbraut bezeichnet und besaßen ein eher abstoßendes als anregendes Design.
All das ist im wahrsten Sinne des Wortes Geschichte, denn die Akzeptanz von Masturbation hat sich grundlegend gewandelt. Heute ist die sogenannte Handentspannung gleichwertig mit jeder anderen erotischen Praktik – und wird gelegentlich sogar als der bessere Sex beworben.
Das zu beurteilen obliegt denen, die sich der körperlichen Selbstliebe hingeben. Auch Mediziner*innen und Gesetzeshüter*innen haben ein Wörtchen mitzureden, denn unter bestimmten Umständen ist Masturbation kein Privatvergnügen mehr. Wird sie zur Sucht oder zum öffentlichen Ärgernis, müssen sich Auto-Erotiker*innen mit ihrer ausufernden Selbstliebe kritisch auseinandersetzen.
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