Wie Slow Sex Zeit für die Liebe schafft

Achtsamer Sex – ein Ansatz für mehr Verbundenheit und Intimität in der Partnerschaft

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Zusammenfassung:

In unserer hektischen Gesellschaft ist Sex oft schnell, leistungsorientiert und auf den Orgasmus fixiert, was unbefriedigend sein kann. Slow Sex ist eine alternative Herangehensweise, die den Leistungsdruck entfernt und Paaren eine intensivere, emotionale körperliche Erfahrung ermöglicht. Achtsamkeit steht dabei im Mittelpunkt, und der Orgasmus ist nicht das Hauptziel. Slow Sex kann besonders für langjährige Beziehungen bereichernd sein und zu einer tieferen Verbindung führen.

Gut zu wissen:

  • Slow Sex: Entschleunigt das Liebesleben und nimmt den Leistungsdruck
  • Achtsamkeit: Bewusste, bewertungsfreie Wahrnehmung des gegenwärtigen Moments
  • Orgasmus nicht das Ziel: Fokus auf Zweisamkeit und gemeinsame Zeit
  • Inspiriert vom Buddhismus: Diana Richardson, Begründerin des Slow-Sex-Ansatzes
  • Wissenschaftliche Beweise: Achtsamkeit verbessert sexuelle Funktionen und Zufriedenheit
  • Üben und Verlernen: Slow Sex erfordert das Loslassen von konditionierten Sexpraktiken
  • Verbessertes Wohlbefinden: Sexuelle Achtsamkeit kann das allgemeine Wohlbefinden und den Alltag bereichern
  • Nicht für alle: Slow Sex ist eher für langjährige Paare als für lockere sexuelle Kontakte geeignet.

Sex ist oft (passend zu unserer hektischen und konsumorientierten Gesellschaft) leistungs- und zielorientiert, schnell, an Pornografie orientiert und auf den (männlichen) Orgasmus fixiert – was oft unbefriedigend, nicht erfüllend oder gar schmerzhaft sein kann.

Nur die wenigsten schenken der sexuellen Begegnung mit ihrem Partner bzw. ihrer Partnerin ihre volle Aufmerksamkeit, sondern sind maximal lust- und orgasmusorientiert.

Dabei gibt es eine bessere Alternative, die dem Sex das Tempo und sämtlichen Leistungsdruck wegnimmt: Slow Sex, ein Ansatz für mehr Zeit beim Sex, der Paaren eine intensive und emotionale körperliche Erfahrung ermöglicht, wie in einem Praxisbeitrag von Psychologin Dr. Nicola Döring in der Zeitschrift für Sexualforschung beschrieben wird.

Slow Sex entschleunigt das Liebesleben

Dass Paare nach vielen Jahren des Zusammenseins immer noch übereinander herfallen und heißen Sex haben, mag vielleicht in den Medien so dargestellt werden, entspricht aber meist überhaupt nicht der Realität – was oft zu Frustration und Enttäuschung führt.

Auch wird die “schnelle Nummer” in einer längeren Beziehung schnell langweilig und als Last empfunden, weshalb Paare nach einer gewissen Zeit seltener oder auch gar keinen Sex mehr miteinander haben. Daher können insbesondere Personen in langjährigen Beziehungen vom Slow-Sex-Ansatz profitieren.

Beim Slow Sex wird dem Akt der Liebe der Raum gegeben, den er verdient: Neben einem achtsamen Miteinander stehen Entspannung und Erwartungsfreiheit im Mittelpunkt. Damit soll Slow Sex der Weg zu einer tieferen und glücklicheren Beziehung sein.

Beim Slow Sex ist nicht der Orgasmus das Ziel

Hinter dem Slow-Sex-Ansatz, der von der Sexualtherapeutin und Autorin Diana Richardson aus Südafrika begründet wurde, steckt die Idee, dass Sex in der Partnerschaft bewusst nicht auf Feuer, Leidenschaft und Erregung bis hin zum Orgasmus ausgerichtet ist. Denn eine solche Praktik führe laut Richardson oft zu Hektik, Stress und Leistungsdruck im Bett.

Der sexuelle Kontakt verläuft beim Slow Sex alles andere als kurz, knackig und actionreich, sondern entschleunigt, entspannt und achtsam. Ganz ohne jegliche Anstrengung. Niemand muss sein Können beweisen, neue Techniken meistern, zum Orgasmus kommen oder gar erregt sein.

Das mag vielleicht zunächst langweilig klingen, kann aber tatsächlich eine ausgesprochen belebende, beglückende und Verbindung schaffende sexuelle Begegnung sein. Slow Sex ermöglicht ein ganz anderes körperliches Spüren, das auch zu spirituellen Erfahrungen führen kann, wie Slow-Sex-Erfahrene berichten.

Es geht nicht um eine spezielle Technik und es gibt auch keine vorgeschriebenen Schritte, die zu einem bestimmten Ergebnis führen. Beim Slow Sex geht es einfach um die Zweisamkeit und die gemeinsam verbrachte Zeit, welche von Achtsamkeit geprägt ist.

Was bedeutet eigentlich Achtsamkeit?

Achtsamkeit findet ihren Ursprung in der Philosophie des Buddhismus. Im Buddhismus fand auch Diana Richardson, die nicht nur als Therapeutin, sondern auch als ausgebildete Tantra-Lehrerin tätig ist, ihre Inspiration für den Slow-Sex-Ansatz.

Jon Kebat-Zinn, ein Professor der University of Massachusetts Medical School in Worcester für Achtsamkeitsmeditation, beschreibt Achtsamkeit als die bewusste und bewertungsfreie Wahrnehmung des gegenwärtigen Moments.

“Bewusst wahrnehmen” bedeutet laut Kebat-Zinn, dass wir unsere Aufmerksamkeit absichtlich auf den gegenwärtigen Moment lenken, uns nicht ablenken lassen und nicht in Gedanken abschweifen. Im “gegenwärtigen Moment” gilt die Aufmerksamkeit dem “Hier und Jetzt”, samt der eigenen Gefühle, Gedanken und der Umgebung, in der man sich befindet.

Wird der gegenwärtige Moment ohne Bewertung wahrgenommen, werden zwar Bewertungen, die aufkommen, registriert, jedoch wird nicht weiter auf diese eingegangen. Stattdessen bleibt man offen für das, was der Moment sonst noch bereithält.

Auf diese Weise treten wir aus dem “Autopilotenmodus” aus, aus welchem Bewertungen und Gedanken automatisch Handlungen erfolgen.

Bewusstes Wahrnehmen statt Autopilotenmodus

Wenn wir uns vor Augen führen, dass wir die meiste Zeit alles andere als achtsam sind oder bewusst und bewertungsfrei das Hier und Jetzt wahrnehmen, wird die Bedeutung von Achtsamkeit deutlich.

Tatsächlich dauert durchschnittlicher Sex laut Forschenden der Universität Queensland rund fünf Minuten (5,4 Minuten, um genau zu sein).

Beim Slow Sex hingegen verändert sich die Wahrnehmung, es wird mit allen fünf Sinnen achtsam wahrgenommen und der Moment ausgekostet und dadurch intensiviert. Slow Sex kommt einer Meditation nahe.

Es wird nicht nur wahrgenommen, was bei sich selbst und dem eigenen Körper geschieht, auch der Körper des Partners bzw. der Partnerin wird bewusst gespürt – und zwar in aller Ruhe. Durch das bewusste Hinspüren wird der ganze Sex langsam. Jede Berührung und jedes Gefühl, das aufkommt, werden wahrgenommen.

Beim Slow Sex geht es darum, die Erregung bewusst niedrig zu halten und ihr nicht sofort nachzugeben und wie gewohnt und die Erregung in die Höhe zu ziehen, um zum Orgasmus zu kommen.

So kann das Ganze zu einer zutiefst erfüllenden Begegnung werden – ob mit Orgasmus oder ohne. Wie Richardson in ihrem Buch Slow Sex erklärt, steht bei dieser Art des Liebesaktes nicht das, was man tut, sondern wie man etwas tut, im Mittelpunkt.

Durch zwanglose Erregung zum Orgasmus – oder auch nicht

Und in dem Moment, in dem man sich von der Vorstellung löst, eine Erregung und einen Orgasmus haben zu müssen, kann genau das spontan entstehen – wenn man dem Akt nicht so eine große Bedeutung beimisst und währenddessen gedanklich ständig damit beschäftigt ist, das Ziel erreichen zu müssen.

Zu erfahren, dass eine Erregung auch völlig frei und zwanglos entstehen kann – ohne dass man viel dafür tut – kann gerade für Männer, die Stress oder Leistungsdruck verspüren, eine Erektion zu bekommen, eine erleichternde Erfahrung sein.

Aber auch Frauen kommt Slow Sex entgegen, da Frauen oftmals etwas mehr Zeit benötigten als Männer, bis sich eine Erregung aufbaut, insbesondere in langjährigen Beziehungen.

Und wenn es zu keiner Erektion kommt, führt das auch nicht zu einer Enttäuschung, da es keine Erwartungen an Slow Sex gibt.

Slow Sex will geübt sein

Um eine solche Art von Sex zu erleben, geht es Richardson zufolge vor allem darum, gelernte und konditionierte Sexpraktiken hinter sich zu lassen. Slow Sex erfordere regelmäßiges Üben, denn fest verankerte Verhaltensweisen wie das Hinzielen auf den Orgasmus ließe sich nicht von heute auf morgen ablegen.

Beim Slow Sex muss man nämlich ganz anders als beim “herkömmlichen Sex” nicht besonders viel tun, da es sich um eine erwartungsfreie Begegnung handelt. Es geht lediglich darum, den Körper des jeweils anderen zu spüren, Küsse, zärtliche Berührungen und offene Blicke auszutauschen.

Das Paar vereinigt sich auf eine sanfte Weise, ohne große Bewegung. Die Dynamik des Aktes wird diesem selbst überlassen. Die weiblichen und männlichen Genitalien müssen nicht erregt sein und begegnen sich vorzugsweise in der Scherenstellung oder einer anderen Stellung, die wenig Stimulation ermöglicht.

Richardson empfiehlt Paaren regelmäßiges Üben und den Akt zu einem Entspannungsritual zu machen, beispielsweise an einem bestimmten Tag oder Abend.

Die Wirksamkeit von Achtsamkeit ist vielfach bewiesen

Der Slow-Sex-Ansatz ist zwar eng mit spirituellen Praktiken wie Tantra, Meditation und Yoga verbunden, dass man besseren Sex durch Achtsamkeit erleben kann, ist aber auch wissenschaftlich bewiesen.

So hat ein Forschungsprojekt der kanadischen Psychologin Lori Anne Brotto, der Pionierin der Achtsamkeitsforschung hinsichtlich sexueller Funktionsstörungen, gezeigt, dass achtsamkeitsbasierte und kognitive Trainingsprogramme das sexuelle Verlangen und die Erregung wesentlich steigern können.

Auch durch Stress bedingte sexuelle Unlust bis hin zu Libidoverlust und Erektionsstörungen können durch eine achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie verbessert werden, wodurch deutliche Verbesserungen der Beziehungszufriedenheit einhergehen können.

In einer weiteren Studie konnte Brotto nachweisen, dass eine achtsamkeitsbasierte Therapie Frauen bei Orgasmusschwierigkeiten hilft, die Lubrikation verbessert und die sexuelle Zufriedenheit steigert.

Und eine Studie der Brown University in den USA zeigt, dass regelmäßiges Meditieren Frauen ermöglicht, schneller auf sexuelle Reize zu reagieren und so schneller erregt zu werden.

Meditation stärkt außerdem gleichzeitig das Körperbewusstsein und reduziert selbstkritische Gedanken. Mehr Akzeptanz des eigenen Körpers wiederum führt dazu, dass man sich beim Sex wohlfühlt und entspannen kann.

Achtsamkeit bereichert sämtliche Lebensbereiche

Die achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie wurde ursprünglich entwickelt, um Menschen vor einem depressiven Rückfall zu schützen.

Mittlerweile wird diese Therapieform an Hunderten von Kliniken und Gesundheitszentren weltweit erfolgreich angewendet, die gesundheitsfördernde Wirkung ist durch zahlreiche wissenschaftliche Studien belegt. Im Kontext der Sexualtherapie werden achtsamkeitsbasierte Verfahren seit rund zehn Jahren eingesetzt.

So können durch Achtsamkeit körperliche und psychische Symptome verringert werden, Stresssituationen effektiver bewältigt werden und die Fähigkeit zur Entspannung erhöht werden. Auch die Steigerung des Selbstvertrauens, der Lebensfreude und Vitalität konnte nachgewiesen werden.

Das Forschungsinteresse an diesem Thema nimmt stetig zu und so wurden mittlerweile verschiedene andere Therapieansätze entwickelt, die Achtsamkeitstechniken einsetzen.

Es wurde in einer Studie aus dem Jahr 2020 außerdem gezeigt, dass durch sexuelle Achtsamkeit nicht nur das Sexleben verbessert werden kann, sondern auch das allgemeine Wohlbefinden und den beruflichen und persönlichen Alltag bereichern kann, was insbesondere daran liegt, dass Achtsamkeit Stress und das Burnout-Risiko wirksam reduziert und Entspannung fördert.

Fazit: Sex ohne Orgasmen ist keineswegs schlechter Sex

Durch Slow Sex kann ein vollkommen neuer Bezug zu Sex entstehen. Denn diese Art von Sex hat eine ganz andere Qualität als die gewohnte und ist alles andere als schnell und auf den Höhepunkt orientiert, sondern entschleunigt und absichtslos. Es geht nicht darum, ob man eine gute Performance ablegt.

An diese Art von Sex müssen sich viele womöglich erst einmal langsam herantasten. Doch das Ausprobieren kann sich lohnen: Denn wenn das Ziel des Orgasmus wegfällt, kann ganz viel anderes entstehen, wie etwa Nähe, was zeigt, dass Sex ohne Orgasmen keineswegs schlechter Sex sein muss – was aber auch nicht bedeuten muss, dass es beim Slow Sex keine Orgasmen gibt.

Beim Slow Sex liegt man bei niedriger Erregung ineinander, die volle Aufmerksamkeit gilt dem Moment und allen fünf Sinnen, wodurch echte Verbindung entstehen kann, die eher verloren geht, wenn Sex schnell, hastig und einfach nur auf Erregung ausgelegt ist.

Daher dürfte Slow Sex vor allem Paare ansprechen, die bereits seit längerer Zeit zusammen sind und die erste “rauschhafte Verliebtheit” hinter sich gelassen haben – wenn der Sex also zu etwas sehr Vertrautem oder gar zur Routine geworden ist und die Partner etwas mehr Nähe erleben möchten. Slow Sex ist nicht unbedingt das Richtige für “lockere” sexuelle Kontakte.

Slow Sex als Ritual, das Intimität schafft

Slow Sex geht mit dem Verlernen von gewohnten Mustern einher. Denn bei dieser Art des Sexualaktes nimmt man die sexuelle Begegnung bewusst wahr, was damit einhergeht, dass man sich Zeit füreinander nimmt. So kann laut Diana Richardson Slow Sex mehrere Stunden dauern, was das Ganze vielleicht weniger “alltagstauglich” macht.

Slow Sex soll “herkömmlichen” Sex aber auch nicht ersetzen, manchmal hat man einfach das Bedürfnis nach Lust und Leidenschaft. Slow Sex kann aber das Bedürfnis nach Harmonie, Nähe und Verbindung stillen und kurz- oder langfristig wie ein Ritual in die Partnerschaft integriert und gemeinsam genossen werden, um die Partnerschaft zu intensivieren.

Vor allem für Männer, die Druck verspüren, eine Erektion zu bekommen oder viel beim Sex zu tun, kann Slow Sex, der von der Erwartung gelöst ist, dass der Orgasmus Ziel des Sex ist, eine sehr entspannende Alternative sein.

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