Studie untersuchte, wie asexuelle Personen zu Liebe und Romantik stehen

Asexuelle haben kein bis kaum Interesse an Sex – doch was ist mit Romantik?

Zuletzt aktualisiert am

Asexuelle-Personen-Liebe-und-Romantik-Studie
Asexuelle-Personen-Liebe-und-Romantik-Studie
Inhaltsverzeichnis anzeigen

Zusammengefasst

  • Asexualität: Sexuelle Orientierung, bei der kein sexuelles Verlangen verspürt wird; betrifft schätzungsweise 1% der Bevölkerung (ca. 80 Millionen Menschen).
  • Allosexualität: Gegenteil von Asexualität; Menschen, die sich sexuell zu anderen hingezogen fühlen.
  • Romantische Anziehung: Asexuelle Personen können sich verlieben und romantische Anziehung empfinden, ohne sexuelle Anziehung zu verspüren.
  • Studie zu Partnerschaftsansichten: US-amerikanische Forschende untersuchten Unterschiede zwischen asexuellen und nicht-asexuellen Personen bezüglich ihrer Ansichten über Partnerschaften.
  • Ergebnisse: Asexuelle Personen zeigten weniger Interesse an Heirat und Kindern und hatten unterschiedliche Überzeugungen über Liebe und Beziehungen.
  • Individuelle Unterschiede: Asexuelle Menschen können in Liebesbeziehungen und sogar Ehen mit allosexuellen Partner:innen erfolgreich sein, Kommunikation und Verständnis sind entscheidend.

Für viele Menschen ist Sex die schönste Nebensache der Welt. Andere wiederum verspüren absolut gar kein sexuelles Verlangen. Menschen, die sich nicht sexuell zu anderen Menschen hingezogen fühlen und kein Bedürfnis nach sexueller Interaktion haben, gelten als asexuell (kurz “Ace”).

Was ist Asexualität?

Asexualität ist eine sexuelle Orientierung, wie etwa Hetero- und Bisexualität, die allerdings sehr selten ist. Die meisten Menschen verspüren Lust auf Sex. Wissenschaftler gehen davon aus, dass Asexualität höchstens 1 % der Bevölkerung ausmacht. Bei einer Weltbevölkerung von 8 Milliarden Menschen wären das dennoch ca. 80 Millionen Asexuelle.

Das Gegenteil von Asexualität ist übrigens Allosexualität und beschreibt Menschen, die sich sexuell zu anderen Menschen hingezogen fühlen.

Ob eine solche Neigung bedeutet, dass sich asexuelle und sexuelle Personen in Bezug auf Partnerschaften unterscheiden, ist eine komplexe Frage.

Manche asexuelle Personen berichten, dass sie zwar keine sexuelle Anziehung zu anderen Menschen verspüren, sich aber sehr wohl verlieben und eine romantische Anziehung zu einer anderen Person empfinden. Das Spektrum der Asexualität umfasst aber auch Menschen, die eine gewisse sexuelle Erregung empfinden, obwohl sie kein Interesse an einer sexuellen Beziehung haben.

Romantische und sexuelle Anziehung – zwei Paar Schuhe

Während die meisten Menschen Sex und Romantik eng miteinander verknüpfen, könnte man annehmen, dass Asexuelle zwischen romantischer und sexueller Anziehung unterscheiden. Vielleicht besteht kein Interesse an Sex, dafür aber an einer Partnerschaft und Ehe. Und vielleicht möchten einige asexuelle Personen auch Kinder haben.

Da Menschen aber grundsätzlich verschieden sind, gibt es auch bei Menschen jeder anderen sexueller Orientierung Unterschiede zwischen romantischer oder sexueller Anziehung und romantischen und sexuellen Handlungen.

So kann zum Beispiel ein Kuss für jemanden etwas sehr Sexuelles sein und für eine andere Person das Romantischste überhaupt, das überhaupt nichts mit Sex zu tun hat. Ähnliche Unterschiede gibt es auch für Berührungen oder Umarmungen.

Tatsächlich wird zum Thema Partnerschaften jede Menge Forschung betrieben. Asexualität wurde in der Beziehungsforschung jedoch weitgehend übersehen. Das mag wohl daran liegen, dass asexuelle Menschen eine absolute Minderheit darstellen und es sehr schwer ist, Studien mit repräsentativen Stichproben durchzuführen.

Zwei amerikanische Forscher wollten diese Lücke schließen und beschäftigten sich im Rahmen einer Studie, die im Sexuality & Culture Journal publiziert wurde, damit, welche Unterschiede es zwischen asexuellen Menschen und Personen, die sich nicht mit Asexualität identifizieren, hinsichtlich ihrer Ansichten über Partnerschaften gibt.

Wie stehen asexuelle Menschen zu Partnerschaften?

Scott S. Hall von der Fakultät für frühkindliche, Jugend- und Familienstudien der Ball State University und David Knox von der Fakultät für Soziologie der East Carolina University zogen im Rahmen ihrer Studie einen Vergleich.

Sie verglichen die Beziehungserfahrungen, Überzeugungen und Absichten in Bezug auf Liebe und romantische Beziehungen von einer Gruppe von Personen, die sich selbst als asexuell bezeichneten, mit Gruppen von Personen, die sich selbst als heterosexuell, bisexuell oder schwul bzw. lesbisch bezeichneten.

Von den Studienteilnehmenden (College-Studenten) gaben 75 Personen an, asexuell zu sein. Die restlichen Personen der Stichprobe von 2.665 jungen Erwachsenen gab an, entweder heterosexuell, bisexuell oder homosexuell zu sein.

Bevor wir auf die Ergebnisse der Studie eingehen möchten, wollen wir euch zeigen, wie die Studie durchgeführt wurde.

Die Studie umfasste einen Fragebogen

Die Beziehungserfahrungen, Überzeugungen und Absichten hinsichtlich Liebe und Beziehungen der Studienteilnehmenden wurden anhand eines Fragebogens ermittelt.

So wurden die Beziehungserfahrungen erfasst:

Um zu erfahren, welche Erfahrungen die Studienteilnehmenden mit Beziehungen gemacht haben, fragten die Studienautoren unter anderem danach, ob bereits im Internet nach einem/ einer Partner:in gesucht wurde und ob hier bereits positive Erfahrungen gemacht wurden.

Außerdem wurden die Studienteilnehmenden gefragt, ob sie bereits Liebe auf den ersten Blick erlebt haben und ob Beziehungsentscheidungen eher mit dem Herzen als dem Verstand getroffen werden.

So wurden die Überzeugungen über Liebe und Beziehungen ermittelt:

Um mehr über die Überzeugungen über Liebe und Beziehungen zu erfahren, wurden die Studienteilnehmenden gefragt, ob sie der Aussage “Ich glaube, dass es nur eine wahre Liebe gibt, die nie wiederkommt” zustimmen.

Weitere Aussagen, die bewertet werden sollten, waren: “Ehepaare, die Kinder haben, sind glücklicher als solche, die keine haben” und “Ich glaube, dass tiefe Liebe einem Paar hilft, sämtliche Schwierigkeiten und Differenzen zu überstehen”.

So wurden die Beziehungsabsichten erfragt:

Um herauszufinden, welche Absichten die Studienteilnehmenden in Hinblick auf Beziehungen haben, sollte beantwortet werden, ob folgenden Aussagen zugestimmt wird: “Ich würde mich von meinem/ meiner Ehepartner:in aus keinem Grund scheiden lassen” und “Nach dem Schulabschluss kann ich mir vorstellen, bei meinen Eltern zu leben”.

Außerdem wurden die Studienteilnehmenden gefragt, ob sie eines Tages heiraten und Kinder haben wollen.

Was die Studienergebnisse zeigen:

  • Die Ergebnisse der Studie von Hall und Knox zeigen, dass zwar weniger asexuelle Personen angaben, sich aktuell in einer Beziehung zu befinden, als etwa bisexuelle oder homosexuelle Personen. Dennoch gab ein erheblicher Anteil der asexuellen Studienteilnehmenden an, derzeit eine Beziehung zu führen (37,3 %).
  • Relativ viele der asexuellen Studienteilnehmenden gaben an, bereits im Internet nach einem/ einer Partner:in gesucht zu haben und hatten im Vergleich zur heterosexuellen Personengruppe genauso häufig wie die anderen Gruppen sexueller Minderheiten positive Erfahrungen mit Online-Kontakten gemacht.
  • Von allen Studienteilnehmenden waren es die asexuellen Personen, die am seltensten Liebe auf den ersten Blick erlebt hatten, außerdem gaben sie an, Beziehungsentscheidungen eher mit dem Herzen als mit dem Verstand zu treffen.
  • Die Überzeugungen in Hinblick auf Liebe und Partnerschaft unterschieden sich zwischen den verschiedenen Gruppen sexueller Identitäten. Nur wenige der asexuellen Personen glaubten an die eine wahre Liebe und dass Liebe einem Paar helfen kann, sämtliche Herausforderungen zu überstehen.
  • Auch hinsichtlich der Beziehungsabsichten gab es Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen sexueller Identitäten. Nur wenige der asexuellen Personen wollten heiraten und Kinder haben. Im Vergleich zur heterosexuellen Gruppe und ähnlich wie bei den anderen sexuellen Minderheiten waren die asexuellen Personen offener für eine Scheidung und hielten es auch am ehesten für möglich, nach dem Schulabschluss bei ihren Eltern zu leben.

Wie sich die Studienergebnisse interpretieren lassen

Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass Romantik in Beziehungen Asexueller eine weniger bedeutsame Rolle spielt. Dennoch war Romantik in dieser Stichprobe asexueller Personen nicht gänzlich abwesend (z. B. glauben fast 10 % an die eine wahre Liebe und einige Studienteilnehmenden gaben an, Liebe auf den ersten Blick erlebt zu haben).

Allerdings könnte sich die Art und Weise, wie asexuelle Menschen über Liebe und Romantik denken, von Personen anderer sexueller Orientierungen unterscheiden und sich auf eine Art äußern, die nicht mit den in dieser Untersuchung verwendeten Methoden erfasst wurde.

Zum Beispiel stimmten zwei Drittel der asexuellen Personen der Aussage zu, dass tiefe Liebe einem Paar dabei helfen kann, Schwierigkeiten und Differenzen zu überstehen.

Während man mit einer eher konventionellen Sichtweise auf Romantik annehmen könnte, dass es sich bei dieser Aussage um romantische Liebe handelt, dachten die asexuellen Personen vielleicht eher an eine rein freundschaftliche oder altruistische Liebe.

Weitere Forschungsprojekte, die an die Arbeit von Hall und Knox anknüpfen, sollten bei der Erstellung des Fragebogens also noch präziser vorgehen.

Romantik und Aromantik bei Asexuellen

Wir haben bei unseren Recherchen noch eine andere Studie aus Portugal aus dem Jahr 2022 gefunden, die deutlich macht, dass es einerseits Asexuelle gibt, die Interesse an romantischen Beziehungen haben und andererseits “aromantische” Asexuelle, die keine romantische Anziehung verspüren.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass romantisch orientierte Asexuelle mehr Sexualpartner und sexuelle Erfahrungen (in der Vergangenheit und Gegenwart) haben und weniger sexuelle Abneigung zeigen. Aromatische Asexuelle hingegen haben eine stärkere asexuelle Identität, zeigen ein vermeidendes Bindungsverhalten und haben größere Bedenken hinsichtlich einer Bindung.

Schwierigkeiten bei der Partnerwahl

Dass relativ viele der asexuellen Studienteilnehmenden Bekanntschaften über das Internet schließen, könnte widerspiegeln, dass es auf diese Weise einfacher ist, sich mit anderen zu verbinden, die ähnliche Perspektiven und Erfahrungen teilen und die man sonst nur schwer finden würde.

Dass die asexuellen Studienteilnehmenden es sich vorstellen können, nach dem Schulabschluss mit den Eltern zusammenzuleben, könnte darauf zurückzuführen sein, dass sie weniger Vertrauen oder den Wunsch haben, einen langfristigen Partner zu finden, mit dem sie zusammenleben möchten.

Der geringere Wunsch, überhaupt zu heiraten, könnte darauf hindeuten, dass asexuelle Menschen (wie auch andere sexuelle Minderheiten) eine kleinere Auswahl potenzieller Partner:innen haben, die die gleiche sexuelle Identität haben.

Warum die wenigsten asexuellen Studienteilnehmer:innen Kinder wollten, ist den Studienautoren unklar. So könnte diese Ansicht die Abneigung gegen Sex widerspiegeln, den manche asexuelle Menschen verspüren oder auch ein geringer Optimismus, was das Heiraten angeht.

Das Gefühl, von der Norm abzuweichen, das durch die gesellschaftliche Stigmatisierung hervorgerufen wird sowie die Unterschiede zu Menschen mit sexuellen Wünschen könnten ebenfalls dazu beitragen, dass asexuelle Personen im Allgemeinen weniger an romantische Beziehungen glauben und verhältnismäßig weniger Interesse daran haben, eine eigene Familie zu gründen.

Die Aussagekraft der Studienergebnisse ist stark eingeschränkt

An dieser Stelle soll gesagt sein, dass die Aussagekraft der Studienergebnisse stark eingeschränkt ist, da die Zufallsstichprobe von College-Studenten keine allgemeine Verallgemeinerbarkeit zulässt. Das liegt aber insbesondere daran, dass die Erhebung von Daten über asexuelle Personen eine Herausforderung darstellen kann, da sie eine sehr kleine Minderheit darstellen.

Auch hätte der Fragebogen umfassendere und genauer formulierte Fragen enthalten können, um etwaige Unterschiede zwischen asexuellen Personen und Personen mit anderen sexuellen Orientierungen hinsichtlich ihrer Ansichten auf Beziehungen zu erforschen.

Die Studienautoren haben viele Spekulationen über die Interpretation der Ergebnisse geäußert, die für künftige Untersuchungen zur Asexualität hilfreich sein könnten.

„Viele asexuelle Menschen finden sich trotzdem in Liebesbeziehungen wieder“

In einem Gespräch mit Caroline Elisabeth Cull, einer asexuellen Aktivistin aus Australien, erfahren wir, dass viele asexuelle Menschen aufgrund der Erfahrungen, die sie in ihrem Leben gemacht haben, nicht unbedingt eine Beziehung eingehen möchten.

„Viele Asexuelle haben in früheren Beziehungen erlebt, dass ihre Grenzen nicht respektiert wurden, einige haben in ihrer Vergangenheit sogar traumatische Erfahrungen gemacht.“

Die Aktivistin erzählt, dass viele asexuelle Menschen sich trotzdem in Liebesbeziehungen wiederfinden, die oft zu Heirat und Kindern führen. „Auch zwischen einer allosexuellen und einer asexuellen Person kann eine Beziehung problemlos funktionieren – es kommt nur auf die Kommunikation an.“

„Viele Asexuelle, die eine Beziehung eingehen, bevorzugen ein polyamores Beziehungsmodell, um den Sexualtrieb ihrer Partner zu befriedigen, während sie ihre Beziehung rein romantisch halten. Jedes Paar ist individuell, so wie auch jeder Mensch. Viele asexuelle Menschen neigen dazu, sich eine:n asexuelle:n Partner:in zu suchen, da es so leichter ist, Grenzen zu ziehen.“

Cull kritisiert außerdem, wie die Studienautoren die Studie designt haben. Dass man nach dem Schulabschluss bei seinen Eltern wohnt, sei kein Messwert, um herauszufinden, wie Asexuelle Beziehungen gegenüberstehen.

„Es wird eine Infantilisierung der asexuellen Identität suggeriert und Menschen, die einfach keine sexuelle Anziehung verspüren, wird ein unreifer und kindischer Stempel aufgedrückt. Das ist unnötig und erniedrigend.“

Kann Asexualität psychologische Hintergründe haben?

Sarah Melancon, Soziologin und Sexologin aus den USA, findet es nicht überraschend, dass viele Asexuelle, die oft nicht an einer langfristigen Beziehung interessiert sind, es für eine Option halten, nach dem Schulabschluss bei ihren Eltern leben.

Sie deutet darauf hin, dass Studienergebnisse aus Kanada zeigen, dass Asexuelle in einem höheren Maß psychische Probleme wie Depressionen, Angstzustände, Psychosen, Suizidalität und zwischenmenschliche Probleme aufweisen, was ebenfalls ein Faktor sein könnte.

Auf unsere Frage, ob es psychologische Gründe dafür geben könnte, dass manche Menschen asexuell sind, antwortet die Sexologin: „Es gibt verschiedene Hypothesen darüber, wie und warum sich Asexualität entwickelt. In der asexuellen Community wird diese Frage meist für unangemessen gehalten, da sie auf gewisse Weise impliziert, dass Menschen, die sexuelle Anziehung verspüren, “privilegiert” sind.“

„Da der Mensch jedoch eine sich sexuell fortpflanzende Spezies ist, halte ich es für angebracht, die Gründe für das Fehlen sexuellen Interesses zu untersuchen.”

Melancon erläutert, dass es zum einen Hypothesen gibt, die Asexualität als eine Variante des “Normalen” definieren, wobei Sexualität auf einem Spektrum von hypersexuell bis asexuell betrachtet wird und Asexualität als eine Form von geringem sexuellen Verlangen gilt. Es soll aber auch Hypothesen geben, die davon ausgehen, dass Asexualität als Reaktion auf ein Trauma hervorgeht oder mit einem vermeidenden Bindungsstil einhergeht.

War der Artikel hilfreich?

Weiter zur Quelle