Muss man beim Sex einen Orgasmus haben?
Warum Sex auch ohne „Finish“ schön sein kann und nicht jeder Orgasmus unbedingt ein Höhepunkt ist.
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Warum Sex auch ohne „Finish“ schön sein kann und nicht jeder Orgasmus unbedingt ein Höhepunkt ist.
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Kurz gesagt: Nein, man muss beim Sex keinen Orgasmus haben. Denn Sex besteht aus mehr als ein paar Sekunden Höhepunkt. Und dieses Mehr dürft ihr gern genießen – mit oder ohne Orgasmus.
Sexuelle Vorstellungen drehen sich häufig um ein bestimmtes Schema, das William H. Masters und Virginia Johnson im sexuellen Reaktionszyklus festgehalten haben:
Dieses Thema wird auch in Filmen, Büchern und Pornos immer wieder aufgegriffen – am besten noch in der seltensten Variante des gemeinsamen Höhepunkts nach wenigen Minuten. Das hat sich tief in unsere Erwartungshaltung eingegraben und vermittelt vielen Menschen eine falsche Vorstellung von Sex.
Auch wenn die Beobachtung der Physiologie natürlich korrekt ist, muss der Liebesakt nämlich nicht immer nach diesem Schema ablaufen. Sex hat viele Facetten, und sexuelle Lust und der Orgasmus sind nicht zwangsläufig dasselbe. Sonst wären Erregungs- und Plateauphase überflüssig. Auch die sind schließlich lustvolle Erlebnisse.
Wir beleuchten, wie du Sex ohne Orgasmus genießen kannst, aber auch, wie du deine Chancen auf einen Orgasmus erhöhst. Außerdem werfen wir einen Blick auf gesundheitliche Gründe, die verhindern, dass du kommst, und schauen uns Höhepunkte an, die sich eher wie Tiefpunkte anfühlen können.
Bei Menschen mit Penis und Menschen mit Vagina gibt es während des Orgasmus unterschiedliche physiologische Abläufe. Gemeinsam ist ihnen, dass der Höhepunkt mit unwillkürlichen Kontraktionen der Muskeln einhergeht, vor allem im Genitalbereich, aber auch im Rest des Körpers. Puls, Blutdruck und Atemfrequenz steigen, es kann sogar zu kurzfristigen Bewusstseinsveränderungen kommen.
Im Idealfall fühlen wir uns nach einem Orgasmus erleichtert, entspannt und sexuell befriedigt. Das ist der Grund, warum es uns erstrebenswert erscheint, beim Sex zu kommen: Sowohl der Orgasmus selbst als auch die Entspannung danach sind in den meisten Fällen ausgesprochen angenehm.
So toll sich die meisten Orgasmen jedoch auch anfühlen: Sie sind nicht alles beim Sex. Du kannst dich also ganz beruhigt zurücklehnen, wenn du feststellst, dass du nicht jedes Mal beim Geschlechtsverkehr zum Höhepunkt kommst. Das ist ganz normal.
Das belegen auch verschiedene Umfragen: 2008 etwa befragte der Kondomhersteller Durex über 26.000 Menschen in 26 Ländern zu ihrer Orgasmus-Häufigkeit. Dabei gaben 80 % der deutschen Männer an, immer oder fast immer beim Sex zu kommen, aber nur 33 % der deutschen Frauen.
Einen Unterschied machte es außerdem, ob der Liebesakt innerhalb einer Beziehung oder bei einem One-Night-Stand stattfand. Einmaliger Geschlechtsverkehr führte bei nur 22 % der Frauen in Deutschland zum Höhepunkt. In einer Beziehung kamen 43 % von ihnen regelmäßig.
Eine andere Umfrage aus dem Jahr 2021 zeigt dagegen einen dramatischen Rückgang: nur 48 % der befragten Männer und 18 % der Frauen in Deutschland gaben an, beim Sex einen Orgasmus zu haben. „Meistens“ kamen nur 30 % der Teilnehmenden, weitere 14 % immerhin jedes zweite Mal.
Auch wenn Umfragen im zeitlichen Verlauf oder im internationalen Vergleich teils sehr unterschiedliche Ergebnisse liefern, haben sie doch eine Gemeinsamkeit: Männer kommen beim Sex wesentlich häufiger zum Orgasmus als Frauen.
Diese Differenz ist auch als „Orgasm Gap“ bekannt, angelehnt an den oft diskutierten „Gender Pay Gap“.
Gründe dafür kann es reichlich geben. Einer davon ist sicher der, dass Frauen oft einfach länger brauchen, um zum Höhepunkt zu kommen. Problematisch, wenn die Sexdauer allzu oft von der Ejakulation des Mannes abhängig ist.
Dass der Orgasm Gap tatsächlich in erster Linie geschlechts- und nicht paarabhängig ist, wird daran ersichtlich, dass heterosexuelle Frauen am seltensten kommen. Also sprecht miteinander, um zu sehen, ob diese Lücke sich nicht wenigstens verkleinern lässt!
Verabschieden wir uns trotzdem einmal von dem Gedanken, der Orgasmus sei ein Muss. Wenn der Fokus nur auf dieser einen Phase des sexuellen Reaktionszyklus liegt, verpassen wir nämlich leider oft all die anderen wunderbaren Sinneseindrücke.
Dabei gibt es noch so viel mehr, was wir am gemeinsamen Liebesspiel genießen können: Nähe, Intimität, Zärtlichkeit. Schließlich gibt es auch unabhängig von Penis und Vagina viele tolle Empfindungen.
Streicheln, lecken, küssen, gemeinsam und gegenseitig den Körper erkunden, herausfinden, was uns und unserem Partner/unserer Partnerin besonders viel Lust bereitet – all das sind Momente, die nicht nur sexuell befriedigend sein können, sondern auch die Bindung zueinander stärken.
Inzwischen gibt es teils sogar eigene Namen für Sexualpraktiken, die bewusst auf einen Orgasmus verzichten, zum Beispiel „Karezza“. Dabei zögert der Mann seinen Orgasmus so lange wie möglich hinaus oder entscheidet sich absichtlich dagegen. Das soll bei manchen Menschen mit Penis sogar dazu führen, dass sie sich noch tagelang fit und energiegeladen fühlen.
Und nicht zuletzt hat es auch der Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte, Dr. med. Christian Albring, in einem Interview mit der „Welt“ sehr passend ausgedrückt: „Das wichtigste Sexualorgan ist das Gehirn.“ Genießen wir also auch all die mentalen Aspekte der intimen Zweisamkeit!
Auch wenn Sex also auch ohne Orgasmus ganz wunderbar funktioniert, ist der Wunsch nach (häufigeren) Höhepunkten legitim und verständlich.
Die Soziologin und Sexologin Sarah Melancon gibt zu bedenken: „Wenn jemand ständig Probleme hat, zum Orgasmus zu kommen, kann Sex sehr unbefriedigend werden und sogar seinen Reiz verlieren. Das ist eine sehr frustrierende Erfahrung.“
Für die meisten Menschen tragen ausreichend häufige Orgasmen wesentlich zur sexuellen Zufriedenheit bei, müssen aber nicht jedes Mal erreicht werden, so die Expertin.
Deshalb haben wir euch drei Tipps zusammengestellt, die euch helfen, eure Chancen auf einen Orgasmus zu erhöhen:
Was im ersten Moment widersinnig klingt, ergibt auf den zweiten Blick durchaus Sinn. Rhiannon John, Sexologin bei BedBible, sagt dazu: „Zu viel Fokus auf den Orgasmus kann dazu führen, dass Menschen eher durchschnittliche Orgasmen haben – oder sogar den Höhepunkt ganz verhindern.“
Sie rät dazu, sich eher auf andere Aspekte des Liebesspiels zu konzentrieren, wie Neugier, Erkundungsdrang, aber auch die Kommunikation mit unserem Gegenüber. So könnten auch unerwünschte Nebenwirkungen wie sexuelle Dysfunktionen oder Ängste rund um den Orgasmus gemildert werden.
Den Sex ohne Orgasmus mehr zu genießen, ist also oft sogar ein Weg zu häufigeren Höhepunkten.
Die oben zitierte Umfrage von 2021 zeigt nicht nur, wie häufig Menschen hierzulande beim Sex kommen. Sie stellt auch fest, dass es vielen Personen leichter fällt, beim Masturbieren den Höhepunkt zu erreichen: 59 % der Befragten gelang das sogar jedes Mal.
Der Vorteil daran, es sich selbst zu machen: du kannst in Ruhe ausprobieren, was dir gefällt – und dieses Wissen mit dem Menschen in deinem Bett teilen. Ganz nebenbei trainierst du so auch noch deine Orgasmusfähigkeit.
Außerdem kann Masturbation die sexuelle Zufriedenheit erhöhen und dadurch Druck aus eurem Liebesspiel nehmen. Und habt ihr schon mal ausprobiert, euch gegenseitig dabei zuzuschauen? Vielleicht ist der gemeinsame Solo-Sex sogar eine Bereicherung für eure Schlafzimmeraktivitäten.
Gelungene Kommunikation ist nicht nur außerhalb des Bettes eine ganz wichtige Beziehungsgrundlage. Ob es darum geht, Grenzen abzustecken, Fantasien mitzuteilen oder einfach in Kontakt miteinander zu kommen: Je mehr ihr miteinander redet und euch gegenseitig echte Aufmerksamkeit schenkt, desto stärker wird das Band zwischen euch.
Im sexuellen Kontext könnt ihr euch dann auch über Wünsche und Bedürfnisse austauschen. Und gerade, wenn eine:r von euch vielleicht nicht oder nicht so häufig zum Orgasmus kommt, hilft es oft sehr, darüber zu sprechen. Wenn ihr wisst, wie euer Gegenüber sich damit fühlt, könnt ihr nämlich viel besser auf eventuelle Probleme reagieren.
Ob das heißt, professionelle Hilfe zu suchen oder „nur“ den Druck rauszunehmen, ist vom Einzelfall abhängig. Für viele Menschen ist es jedenfalls gar nicht so schlimm, beim Sex auch mal nicht zu kommen. Aber das erfährst du eben nur, wenn du mit deinem Lieblingsmenschen darüber sprichst.
Natürlich gibt es auch gesundheitliche Ursachen, die dafür sorgen, dass der Orgasmus sich (stark) verzögert oder ganz ausbleibt. Hast du einen entsprechenden Verdacht, solltest du dir unbedingt ärztliche Unterstützung suchen. Viele Ursachen sind nämlich behandelbar.
Zu den möglichen gesundheitlichen Gründen zählen:
Obwohl ein Orgasmus für die meisten Menschen in den meisten Situationen ein großartiges Gefühl ist, gibt es auch „schlechte“ oder gar unerwünschte Orgasmen.
Vielleicht hast du selbst schon einmal erlebt, dass nicht jeder Orgasmus sich gleich anfühlt. Manchmal baut die Erregung sich auf und gipfelt in einem wahren Höhepunkt der Lust, ein anderes Mal erreichst du die Schwelle vielleicht nur ganz knapp und hättest eigentlich auch darauf verzichten können.
Neben diesen normalen Schwankungen gibt es jedoch auch ernsthaftere Probleme, die einen Orgasmus unangenehm machen negative Folgen für die Betroffenen haben können. Dazu gehören:
Schließlich gibt es auch Orgasmen, die in irgendeiner Verbindung mit Nötigung stehen. Da sie auch in Beziehungen und bei einvernehmlichem Sex auftreten können, möchten wir genauer darauf eingehen.
Es gibt vor allem zwei Situationen, die zu einem erzwungenen Orgasmus führen: Wenn eine Person sich nur auf Druck zum Geschlechtsverkehr bereiterklärt und dabei einen Orgasmus hat, oder wenn der Sex einvernehmlich ist, aber eine der beteiligten Personen sich dazu genötigt fühlt, zu kommen.
Dass Einvernehmlichkeit eine zwingende Voraussetzung für Sex ist, sollte eigentlich keine Frage sein.
Es ist zwar legitim, in oder außerhalb einer Beziehung nach sexuellen Aktivitäten zu fragen oder darum zu bitten. Aber „Nein heißt Nein“ – und dann ist es auch nicht okay, sein Gegenüber mit Betteln und Flehen zum Geschlechtsakt zu überreden oder gar mit Drohungen zu nötigen.
Leider kommen jedoch auch bei einvernehmlichem Sex, z. B. innerhalb einer Beziehung, erzwungene Orgasmen vor.
Dr. Nicole Prause ist Neurowissenschaftlerin und erforscht unter Anderem das menschliche Sexualverhalten. Sie nennt zwei Hauptgründe, aus denen es dazu kommen kann, dass ein Mensch seine:n Sexualpartner:in zum Orgasmus drängt: Sich selbst als gute:r Liebhaber:in beweisen zu wollen oder sicherstellen zu wollen, dass der/die Partner/Partnerin ebenfalls auf seine/ihre Kosten kommt.
Im einen Fall ist es also der Wunsch nach Selbstbestätigung oder ein selbst bzw. gesellschaftlich auferlegter Druck, im anderen Fall falsch verstandene Uneigennützigkeit.
Dabei können erzwungene Orgasmen die Beziehung, das Sexualverhalten oder die psychische Gesundheit nachhaltig beeinträchtigen. Zwei Studien aus dem Jahr 2022 untersuchten diese Zusammenhänge näher.
Die erste Studie kam zu dem Schluss, dass es für Betroffene emotional oft wenig Unterschied machte, ob sie „nur“ zum Orgasmus oder gar zum Sex genötigt wurden: in beiden Fällen fühlten sie sich stark unter Druck und erlebten eine Verschlechterung ihrer Beziehung oder negative Auswirkungen auf ihre psychische Verfassung.
Die zweite Studie sah noch einmal genauer hin. Sie fand folgende Faktoren, die sich besonders negativ auf Beziehung und/oder Psyche des betroffenen Menschen auswirkten:
Hatten die Betroffenen dagegen das Gefühl, ihr Partner/ihre Partnerin habe eigentlich uneigennützig handeln wollen, fielen die negativen Folgen weniger schwer aus.
Dennoch gab es schwerwiegende Folgen für einige Betroffene. Manche von ihnen beendeten nach dem Vorfall die Beziehung, andere behielten Ängste, Schuldgefühle und gar das Gefühl, missbraucht worden zu sein, zurück.
Gerade in einer Partnerschaft kann es passieren, dass der eigentlich legitime Wunsch, dem Partner/der Partnerin Lust zu bereiten, zu einem „Orgasmus unter Zwang“ führt.
Dabei können auch schon Kleinigkeiten unangenehme Auswirkungen haben. Die vermeintlich simple Frage „Bist du gekommen?“ oder die Aufforderung „Komm für mich“ setzen einige Menschen massiv unter Druck. Oft geht dann entweder gar nichts mehr oder der Orgasmus ist kein Genuss. Außerdem werden Orgasmen in solchen Drucksituationen besonders häufig vorgetäuscht.
Je mehr Druck und Fokus also auf dem „großen O“ liegt, desto weniger Spaß macht der Sex. Das bestätigt auch die Psychologin und Sexualtherapeutin bei OrchidToys, Cay Crow: „Meiner Erfahrung nach beschreiben Patient:innen nicht so sehr ihren Orgasmus als „schlecht“, sondern empfinden die gesamte sexuelle Erfahrung als negativ.“
Wenn ihr eure:n Partner:in also nicht versehentlich unter „Orgasmusdruck“ setzen wollt, hilft – wieder einmal –, miteinander zu reden. Wer die Frage nach dem Höhepunkt als stressig empfindet, sollte dies mitteilen. Euer Lieblingsmensch kann schließlich keine Gedanken lesen.
Ebenso ist es okay, bestimmte Handlungen des Partners/der Partnerin zu unterbrechen, wenn sie euch nicht behagen. Sprecht dann darüber, ob damit allgemein ein Problem besteht oder ob es nur in diesem einen Moment nicht erwünscht war.
Orgasmus ist nicht gleich Orgasmus und erst recht nicht gleich Lust.
Fokussiert euch also beim Sex lieber darauf, was sich gut anfühlt und vor allem: sprecht darüber. Nicht immer zu kommen ist für die meisten Menschen absolut kein Drama und allemal besser, als sich dazu gezwungen zu fühlen. Trotzdem könnt ihr gemeinsam neue Wege erkunden, um häufiger zum Höhepunkt zu kommen.
Solltest du allerdings unter den seltenen Orgasmen leiden oder den Verdacht haben, dass eine organische oder psychische Ursache dahintersteckt, such bitte ärztlichen oder therapeutischen Rat.
In den allermeisten Fällen gilt jedoch: Gute Kommunikation ist der beste Schutz vor Sexfrust und hilft, den Liebesakt auch ohne „Finish“ zu genießen.
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