Sexpuppen könnten sich auf die Einstellungen zu Frauen und die mentale Gesundheit auswirken

Forschende der Universität Duisburg-Essen befragten 217 Besitzer:innen von Sexpuppen

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Kurz zusammengefasst

  • Knapp die Hälfte der 217 befragten Sexpuppen-Besitzer:innen gab an, sich in einer Partnerschaft mit ihrer Puppe zu befinden.
  • Bei jenen, die eine Beziehung mit ihrer Puppe führten, stellten die Wissenschaftler:innen einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Vermenschlichung von Sexpuppen und der Feindlichkeit gegenüber Frauen sowie deren Objektivierung fest. Offen blieb die Frage nach dem „Henne-Ei-Effekt“.
  • Die Verwender:innen selbst gaben im Hinblick auf ihre mentale Gesundheit und ihr Frauenbild mehr positive als negative Effekte an.

Jede:r Dritte könnte sich vorstellen, einmal mit einem Roboter zu schlafen – das zumindest ergab die 2018 veröffentlichte Zukunftsstudie „Homo Digitalis“ des Fraunhofer Instituts in Kooperation mit Arte, dem BR und dem ORF.

Da Sexpuppen und Sexroboter echten Menschen immer ähnlicher werden und ihre Verwender:innen ihnen zunehmend menschliche Eigenschaften zuordnen, dürfte ihre Relevanz in Zukunft weiter steigen.

Gegenwärtig gilt die Verwendung von Sexpuppen als gesellschaftlich stigmatisiert und wird vonseiten der Medien sowie der Wissenschaft kritisiert.

Unter anderem gibt es Befürchtungen, dass Besitzer:innen von Sexpuppen Frauen stärker objektivierten und ihnen feindseliger gegenüberträten. Während es zu diesen Annahmen bisher kaum empirische Daten gab, wurden diese nun von deutschen Wissenschaftler:innen auf die Probe gestellt.

Zu den Eigenschaften moderner Sexpuppen

Moderne Sexpuppen werden zumeist dem weiblichen Geschlecht zugeordnet, wiegen zwischen 18 und 54 Kilogramm und setzen sich aus einem beweglichen Metall- oder PVC-Skelett zusammen, wobei das Fleisch aus Silikon oder einem thermoplastischen Elastomer (TPE) besteht.

Technologische Weiterentwicklungen sollen es zunehmend erschweren, die Oberfläche der Puppen von echter Haut zu unterscheiden.

Je nach Modell weisen die Sexpuppen simulierte Atmung und Herzschläge sowie einen automatischen Puls auf, der am Handgelenk und an der Halsschlagader spürbar ist.

Individuelle Anpassungen sind zum Beispiel in Hinblick auf Größe, Hautton, Brustgröße, Schambehaarung, Augenfarbe und Haarfarbe möglich. Darüber hinaus können Sexpuppen anhand von Fotos realen Personen nachgebildet werden.

Die Grenze zwischen interaktiven Sexpuppen und ansprechbaren „sexbots“, also Sexrobotern, verläuft fließend. Anhand von künstlicher Intelligenz können Letztere auf Sprachbefehle reagieren, Gesichter erkennen oder auf Befehl verschiedene fiktive Persönlichkeiten verkörpern – eine „naive“ und eine „wilde“ etwa, oder eine, welche BDSM-Praktiken bevorzugt.

Vierstellige Preise für hochwertige Sexpuppen sind nicht ungewöhnlich. Neben einem Kauf besteht mitunter die Möglichkeit, Sexpuppen stundenweise zu leihen oder entsprechende Bordelle zu besuchen.

Eine kurze Geschichte der Sexpuppen

Schon die alten Griechen kannten das Phänomen sexueller Attraktion gegenüber Statuen – und bezeichneten diese als „Agalmatophilia“. Aus Frankreich und den USA ist ab 1850 die Herstellung von Sexpuppen aus Kautschuk bekannt.

In Zukunft dürften Sexpuppen in Ländern mit äußerst ungleicher Geschlechterverteilung eine besonders entscheidende Rolle spielen. Ein Beispiel dafür ist China, wo es bis 2030 30 Millionen mehr Männer als Frauen geben soll – eine Folge jahrzehntelanger gezielter weiblicher Abtreibungen in der Zeit der Ein-Kind-Politik.

Zu den Teilnehmer:innen der Untersuchung

Ursprünglich willigten 436 Verwender:innen von Sexpuppen in die Teilnahme an der Studie ein. Nicht berücksichtigt wurden jedoch 185 Proband:innen, die den Fragebogen abbrachen, sowie Personen, die ihre Puppe dem männlichen Geschlecht zuordneten oder keine Puppe besaßen.

Die 217 verbliebenen Proband:innen bewegten sich bei einem Durchschnitt von 43 Jahren innerhalb einer Altersspanne von 18 bis 77 Jahren.

Während 104 der Teilnehmer:innen ihre Puppe als reines Sexspielzeug betrachteten, gaben 113 Personen eine Beziehung mit ihr an. Diese sahen ihre Sexpuppe entweder als ideale Partnerin für sich an oder verwendeten sie als vorübergehenden Ersatz für eine menschliche Partnerin.

Neun von zehn der Puppenbesitzer:innen identifizierten sich als männlich. Jeweils 2,3 Prozent gaben eine weibliche und eine nicht-binäre Geschlechtszugehörigkeit an, während 0,9 Prozent sich einer anderen Geschlechtsidentität zugehörig fühlten.

Zwei von drei Teilnehmer:innen identifizierten sich als heterosexuell. Mehr als jede:r Zehnte ordnete sich als pädophil oder hebephil ein, wobei Letzteres als Anziehung gegenüber pubertierenden Personen gilt.

Zur Durchführung der Studie

Unter anderem untersuchten die Forschenden an den Besitzer:innen der Puppen potenzielle Tendenzen zur Objektivierung von Frauen. Darunter fiel etwa die Sichtweise, dass die „Aufgabe“ von Frauen überwiegend in der Förderung des eigenen sexuellen Verlangens liege.

Darüber hinaus erforschten die Wissenschaftler:innen einen potenziellen Zusammenhang zwischen der Vermenschlichung von Puppen und der Feindseligkeit gegenüber Frauen. Sie sammelten zudem qualitative Daten über die Beeinflussung der Einstellung zu Frauen durch die Verwendung von Puppen.

Erfasst wurden die Informationen anhand eines umfangreichen Online-Fragebogens.

Die Sexpuppe: reines Sexspielzeug oder Partnerin?

Ihrer Sexpuppe emotional verbunden fühlten sich besonders jene, die:

  • selbst angaben, in ihre Puppe verliebt zu sein
  • von einer Verbesserung ihrer mentalen Gesundheit durch den Besitz einer Puppe berichteten
  • potenzielle menschliche Sexualpartner im Vergleich als weniger attraktiv betrachteten – ähnliche Effekte sind aus menschlichen Partnerschaften bekannt
  • Single, geschieden und/oder verwitwet waren

Zwischen jenen, die ihre Puppe „lediglich“ als Sexspielzeug sahen, und jenen, die sie als Partnerin betrachteten, stellten die Forschenden in der Auswertung signifikante Unterschiede fest.

So beobachteten sie nur bei den Proband:innen, die sich in einer Beziehung mit ihrer Puppe befanden, einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Zuschreibung menschlicher Eigenschaften und einem höheren Maß an Objektivierung von Frauen sowie Frauenfeindlichkeit.

Personen, die sich ihren Sexpuppen emotional besonders nah fühlen und ihnen eher menschliche Eigenschaften zuschreiben, könnten also eher frauenfeindliche Einstellungen an den Tag legen.

Puppen mit „perfekten“ Körpern und das Verhältnis zu realen Frauen

Personen, die angaben, sich in einer Beziehung mit einer Puppe zu befinden, zeigten ein verringertes Interesse an potenziellen menschlichen Sexpartner:innen. Hierfür könnte es unterschiedliche Ursachen geben.

So könnten Verwender:innen von Puppen, sofern sie dabei keinen Mangel an wahrgenommener Intimität verspüren, durch die Konfrontation mit den typischerweise idealen Puppenkörpern das Interesse an den weniger „perfekten“ Körpern echter Menschen verlieren.

Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass Personen, die bereits im Vorhinein besonders viel Wert auf einen perfekten Körper legen, eher eine Puppe erwerben und sich hiermit von menschlichen Sexualpartner:innen abwenden.

Unabhängig von der zugrunde liegenden Motivation könnte die Hinwendung zu Puppen anstatt zu Menschen laut den Forschenden Einsamkeit verstärken oder unrealistische Erwartungen an den Körper von Frauen hervorrufen.

Veränderungen des Frauenbildes durch die Verwendung von Sexpuppen

Über 170 Teilnehmer:innen machten Angaben zur Veränderung ihres Frauenbildes durch die Verwendung ihrer Puppe. Dabei gaben knapp 70 Prozent an, dass sich ihr Frauenbild nicht verändert habe. Ein 34-jähriger männlicher Verwender etwa berichtete: „Ich respektiere Frauen und sehe Puppen nicht anders als eine große Taschenlampe* oder einen Masturbator.“

Anm.d.Red. Bei einer „Taschenlampe“ handelt es sich um ein Sextoy, welches von außen wie eine Taschenlampe aussieht, aber sich von innen wie eine Vagina oder ein Anus anfühlt.

Knapp ein Viertel der Personen, welche die Frage beantworteten, gaben an, dass sie eine Veränderung in ihrem Frauenbild festgestellt hatten. So berichtete zum Beispiel jede:r zehnte Probandin:in, sich durch ihre Puppe weniger für Frauen als Sexual- oder Gefühlspartner zu interessieren.

Positive Effekte der Verwendung von Sexpuppen

6,4 Prozent der Teilnehmer:innen berichteten von einer positiven Veränderung in ihrem Frauenbild. So beschrieben sie eine Zunahme an Toleranz oder Respekt gegenüber Frauen und brachten ihnen etwa vermehrtes Verständnis entgegen.

Im Vergleich dazu erklärten 2,3 Prozent, dass ihre Einstellung gegenüber Frauen sich durch die Verwendung ihrer Sexpuppe verschlechtert hatte – sie also zum Beispiel erkannt hätten, dass Frauen schlecht oder böse seien.

2,9 Prozent der Proband:innen gaben an, dass sich ihr Wohlbefinden mit dem Besitz ihrer Puppe verbessert habe. Dies zeigt sich etwa durch ein besseres Selbstwertgefühl, weniger Angst und mehr Selbstvertrauen im Umgang mit Frauen.

Einordnung der Ergebnisse der Studie

Die Ergebnisse der Untersuchung liefern den ersten bekannten empirischen Beweis für einen Zusammenhang zwischen der Zuschreibung menschlicher Eigenschaften zu Puppen und einer negativen Einstellung gegenüber Frauen.

Als zentrale Erkenntnisse der Studie halten die Forschenden jedoch fest, dass es nicht darum gehe, die Gruppe der Puppenbesitzer:innen von der restlichen Bevölkerung abzugrenzen, sondern vielmehr die Unterschiede im breiten Spektrum der Puppenbesitzer:innen darzustellen.

Darüber hinaus merken die Wissenschaftler:innen an, dass der Begriff „Sexpuppe“ womöglich nicht mehr zutreffend sei und einer Überarbeitung bedürfe. Britische Forschende hatten hierzu bereits 2018 mit „allodoll“ einen neuen und umfassenderen Begriff vorgeschlagen.

Die griechische Vorsilbe „allo“ (zu deutsch: „anders“) findet bereits beim Begriff „alloparent“ internationale Anwendung. Dieser wird zur Beschreibung der Verwandtschaft zwischen nicht biologisch verwandten Personen verwendet.

Aussagen von Sexpuppen-Verwender:innen aus einer früheren Studie

Die große Bandbreite der Benutzer:innen von Sexpuppen zeigen auch folgende zwei Aussagen, die im Rahmen einer 2018 veröffentlichten britischen Studie zur Verwendung der Puppen festgehalten wurden:

„Keine Geschlechtskrankheiten oder Babys. Sex auf Wunsch, freie Lust. Niemandes Gefühle oder Anus werden verletzt. Man muss sich nicht mit Neurosen oder Selbstwertproblemen herumschlagen. Keine Scheidung, bei der du alle 10 Jahre die Hälfte deines Krams verlierst. Die meisten von ihnen sind heißer, als ich sie in meinem Alter haben könnte.“

„Ich lebe mit einer psychischen Erkrankung, einer bipolaren Störung. Ich hatte beschlossen zu sehen, ob diese Puppe mir helfen könnte, das Leben zu leben, das ich immer führen wollte. Das hat sie für mich getan – und noch so viel mehr.“

Werden die positiven Effekte von Sexpuppen unterschätzt?

Laut Ness Cooper, klinischer Sexologin und Therapeutin, liefert die vorliegende Untersuchung einige Anhaltspunkte dafür, dass die Verwendung von Sexpuppen zu Unrecht unter Generalverdacht gestellt wird.

So legten die Angaben der Verwender:innen nahe, dass die Benutzung einer Sexpuppe nicht zwangsläufig zu einer Veränderung im eigenen Frauenbild führen müsse. In diesem Zusammenhang sei es von großem Interesse, frühere Interaktionen und Beziehungen von Sexpuppen-Benutzer:innen zu untersuchen und zu prüfen, inwiefern nicht die Verwendung von Sexpuppen, sondern diese Erfahrungen ihre Einstellung gegenüber Frauen geprägt haben könnten.

Außerdem zeigen die Ergebnisse der Studie laut der Sexologin, dass die Auswirkung der Nutzung von Sexpuppen auf die psychische Gesundheit derzeit noch unterschätzt wird.

„Sexpuppen könnten Verwender:innen, die unter mentalen Problemen im Zusammenhang mit sexuellen Funktionsstörungen leiden, das Potenzial bieten, ihre Wahrnehmung psychosexueller Empfindungen zu erforschen“, führt Cooper hierzu aus. Deren Verwendung könne sich somit positiv auf psychologische Heilungsprozesse auswirken.

Einschränkungen der Studie

Da viele Puppen-Nutzer:innen ihre Puppen geheim halten, dürften in der Studie jene Verwender:innen überrepräsentiert gewesen sein, die offener mit ihrer Puppe umgingen. Entsprechend könnte die Gruppe derjenigen, die in einer Partnerschaft mit einer Sexpuppe leben, überrepräsentiert sein.

Obwohl die Forschenden den Teilnehmer:innen Anonymität garantierten, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Antworten vor dem Hintergrund der Stigmatisierung verzerrt wurden, indem die Proband:innen bei der Beantwortung potenziell Maßstäbe sozialer Erwünschtheit berücksichtigten.

Denkbar sind auch falsche Angaben aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen, da der Besitz und Verkauf von Sexpuppen mit kindlichem Aussehen in Deutschland unter Strafe steht.

Offene Fragen für zukünftige Studien

Da es sich um eine Querschnittstudie handelte, können aus den Ergebnissen keine kausalen Zusammenhänge abgeleitet werden. Hierfür wären Studien mit einem Längsschnittdesign nötig – also Untersuchungen, die über einen längeren Zeitraum immer wieder Daten erheben.

Erst dadurch könne der Henne-Ei-Effekt aufgelöst werden: Führen Puppen zu einer Verstärkung der Feindlichkeit gegenüber Frauen und deren Objektivierung? Oder umgehen Personen, die ohnehin verstärkt frauenfeindliche Einstellung aufweisen, reale weibliche Personen eher und lagern ihre Bedürfnisse auf Puppen aus?

Laut den Macher:innen der vorliegenden Studie könnten Laborexperimente in Zukunft zusätzlich dabei helfen, zu verstehen, inwieweit der Sex mit einer Puppe in Bezug auf Physiologie und Verhalten mit dem Sex mit einem Menschen vergleichbar ist oder eine potenzielle Änderung von Einstellungen bewirkt.

Von großem Interesse wären darüber hinaus Untersuchungen des großen (Sex-)Puppenmarkts in Ländern wie China oder Japan.

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