Wer glaubt eher an Vergewaltigungsmythen? Möglicher Zusammenhang zum Blickverhalten
Australische Studie untersuchte Blickverhalten zwischen heterosexuellen Männern und Frauen
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Australische Studie untersuchte Blickverhalten zwischen heterosexuellen Männern und Frauen
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Sexuelle Objektivierung wird definiert als die Trennung einer Person von ihrem Körper oder ihren Körperteilen und eine Priorisierung dieser Merkmale bei der Bestimmung ihres Wertes. In der Regel geschieht dies auf Kosten des emotionalen, sozialen oder intellektuellen Wertes der Person.
Eine israelisch-US-amerikanische Studie aus dem Jahr 2017 hatte nahegelegt, dass bei Männern ein Zusammenhang zwischen körperbetonten Blicken und der sexuellen Objektivierung von Frauen bestehe.
Dies ist umso relevanter, da sexuelle Objektivierung laut einer Untersuchung sowohl bei Männern als auch bei Frauen in Zusammenhang mit einer entspannten Haltung gegenüber sexuellen Übergriffen auf Frauen steht. Speziell bei Männern kann sie außerdem zu einer explizit dehumanisierten Sicht auf Frauen führen.
Bei den betroffenen Frauen ist sexuelle Objektivierung aber auch sehr unmittelbar mit einer Reihe negativer Auswirkungen verbunden. So berichteten Probandinnen, die in einer Studie eine männliche fremde Person für ein kurzes persönliches Gespräch treffen sollten, von einer signifikanten Steigerung der Scham für ihren eigenen Körper sowie von einer unangenehmen Körperwahrnehmung.
Auf der Grundlage der gesammelten Erkenntnisse leiteten die australischen Forschenden die Rahmenbedingungen und die Relevanz der vorliegenden Studie ab. Darin mutmaßten sie, dass die Neigung, den Blick von anderen auf den Körper zu lenken, auch ein potenzieller Marker für sexuelle Einstellungen, Absichten und Verhaltensweisen sei.
Insgesamt nahmen 1.113 heterosexuelle Teilnehmer:innen an der zweistufigen Untersuchung von Forschenden der australischen Edith Cowan Universität in Perth teil.
Im Vorfeld der Studie wurden die Befragten unter anderem gebeten, Angaben zum Körperbild und Einstellungen zu sexuellen Übergriffen sowie zu Pornografiekonsum und Beziehungsstatus zu machen.
Die Untersuchung setzte sich aus einer Befragung und einem Eye-Tracking-Experiment zusammen. So sollten anhand selbstberichteter Angaben vor allem absichtliche Bemühungen zum eigenen Blickverhalten erfasst werden, während das Eye-Tracking insbesondere für die Messung zufälliger und unbewusster Blicke zuständig war.
Folgende beide Parameter standen im Mittelpunkt der beiden Untersuchungen:
Wichtig ist laut den Forschenden zu unterscheiden, dass Körperblicke sowohl absichtlich als auch zufällig provoziert werden können. So erhöht das Aussehen der betrachteten Person durch implizite Übernahme von soziokulturellen Normen und kontextuellen Anforderungen an Aussehen und Verhalten unter Umständen die Wahrscheinlichkeit, dass andere Personen Blicke auf ihren Körper werfen.
Auch beim Aussenden von Blicken unterscheidet man Szenarien, in denen dies bewusst und absichtlich geschieht, sowie jenen, in denen das eigene Blickverhalten lediglich nicht unterdrückt wird.
In der ersten Untersuchung füllten die Teilnehmer:innen online einen Fragebogen aus, in dem sie angeben sollten, inwiefern sie Personen des anderen Geschlechts mit körperbetonten Blicken betrachteten und umgekehrt körperbetonte Blicke auf ihren eigenen Körper provozierten.
Außerdem wurden die Proband:innen unter anderem dazu befragt, wie oft sie auf einer fünfstufigen Skala von „niemals“ zu „fast immer“ unerwünschte Annäherungsversuche erlebten.
Personen, welche in der Befragung folgenden Aussagen zustimmen, wurden der Gruppe mit sehr aktivem Körperblickverhalten zugeordnet:
Jene, die folgende Aussagen bestätigten, galten als Personen, die Blicke auf ihren eigenen Körper provozierten:
Sowohl diejenigen, die bewusst körperbetonte Blicke aussendeten als auch jene, die körperbetontes Blickverhalten provozierten, befürworteten Vergewaltigungsmythen eher.
Dabei wurde weiblichen Opfern die Schuld zugeschrieben und impliziert, dass Frauen erzwungenen Sex und Vergewaltigung genössen oder tolerierten. Dies manifestierte sich in Aussprüchen wie „Wenn ein Mädchen auf einer Party mit einem Mann allein in ein Zimmer geht, ist sie selbst schuld, wenn sie vergewaltigt wird“.
Besonders starke Korrelationen stellten die Forschenden zwischen der Einstellung von Frauen zu sexuellen Übergriffen und ihren Bemühungen, die Blicke von Männern auf sich zu ziehen, fest. So waren Frauen, die sich mehr um die Blicke von Männern bemühten, eher bereit, andere Frauen für sexuelle Übergriffe verantwortlich zu machen.
Als mögliche Erklärung für letzteren Effekt mutmaßen die Forschenden, dass Frauen, die Blicke auf ihren Körper besonders aktiv provozieren, dieses Verhalten als Einladung für Männer zu Sex wahrnehmen.
Alleinstehende Frauen berichteten tendenziell von mehr körperbetonten Blicken auf Männer als Frauen, die in einer Partnerschaft waren. Das deutet darauf hin, dass das bewusste Ansehen einer anderen Person für Frauen ein Zeichen für sexuelles oder beziehungsbezogenes Interesse darstellt. Das aktive Blickverhalten der Männer war nicht vom Beziehungsstatus abhängig.
Da alleinstehende Frauen zudem verstärkt bewusst körperbetonte Blicke provozierten, könnte es sich hier um eine Strategie zur Partnersuche handeln. Dies würde sich mit den Ergebnissen bisheriger Studien decken.
So war 2014 im Rahmen einer Studie in Norwegen – einer der geschlechteregalitärsten Kulturen der Welt – festgestellt worden, dass Frauen insbesondere in einem kurzfristigem Datingkontext bei der Partnersuche stärker auf Selbstsexualisierung setzten als es Männer taten.
Männer, die Blicke auf ihre Körper eher provozierten, waren einem größeren Risiko ausgesetzt, unerwünschte sexuelle Annäherungsversuche zu erhalten. Dieser Zusammenhang konnte bei Frauen nicht festgestellt werden.
Laut den Wissenschaftler:innen impliziert dies, dass Frauen die Provokation von körperbetonten Blicken als Strategie anwenden, um sexuelle Aufmerksamkeit von Männern zu erlangen und nachfolgende sexuelle Annäherungsversuche womöglich eher weniger als „unerwünscht“ wahrnehmen.
Interessant wäre es, in weiteren Forschungen näher zu erfahren, inwiefern sexuelle Annäherungsversuche von Männern und Frauen unter Umständen unterschiedlich wahrgenommen werden.
Sowohl bei Frauen als auch bei Männern konnten Zusammenhänge zwischen der Provokation von Blicken auf den eigenen Körper und dem Konsum von Pornografie beobachtet werden. Dies deutet darauf hin, dass der Konsum von Pornografie zur Übernahme von exhibitionistischen Verhaltensweisen beitragen könnte. Über beide Studien hinweg war dieser Zusammenhang bei Frauen konsistenter.
Eine mögliche Erklärung liegt darin, dass Frauen zumindest in der Mainstream-Pornografie tendenziell häufiger als sexuell aufreizend dargestellt werden und sich dies auf ihr eigenes Verhalten auswirken könnte.
Teilnehmer:innen, welche die erste Studie abgeschlossen hatten, wurden unmittelbar nach Abschluss der Online-Umfrage zur zweiten Studie eingeladen. Insgesamt nahmen daran 167 Personen aus der vorigen Untersuchung teil.
Das Blickverhalten der Teilnehmer:innen wurde objektiv untersucht, indem den Proband:innen Fotos fremder Männer und Frauen aus einer Stockfoto-Börse vorgelegt wurden. Darauf waren Personen einmal jeweils freizügig bekleidet und einmal mit nicht freizügiger Kleidung zu sehen – also etwa mit einem Badeanzug oder einem Businessoutfit. Die Versuchspersonen wurden gebeten, die Fotos genauso zu betrachten, wie sie eine Person im realen Leben ansehen würden.
Mithilfe der Eye-Tracking-Tools konnten die Forschenden vergleichen, wie lange die Teilnehmer:innen das Gesicht versus den Körper der Personen auf den Fotos betrachteten.
Die insgesamt meiste Aufmerksamkeit erregte bei Frauen der Kopf vollständig bekleideter männlicher Testpersonen – für den Körper auf den komplett bekleideten Fotos wurden die geringsten Werte gemessen.
In der Gruppe der Männer löste der Körper teilweise bekleideter weiblicher Testpersonen die meiste und deren Kopf die geringste Aufmerksamkeit aus.
Insgesamt zeigten Männer ein körperbetontes Blickverhalten gegenüber allen weiblichen Bildern, während Frauen gegenüber vollständig bekleideten männlichen Bildern ein kopfbetontes Blickverhalten an den Tag legten.
Die vorliegende Untersuchung beinhaltet eine der bisher größten Eyetracking-Studien zur sexuellen Objektivierung. Durch das zweistufige Studiendesign mit Selbstauskünften sowie Eye-Tracking-Messungen wurde das Blickverhalten sowohl objektiv als auch subjektiv erfasst.
Gerade in der umfangreichen Selbstauskunft sehen die Forschenden selbst auch eine Schwäche der Studie. Hier sei eine Verzerrung wahrscheinlich, da Teilnehmer:innen im Hinblick auf Blickverhalten und Einstellungen zu sexuellen Übergriffen eher in einer gesellschaftlich akzeptierten Weise geantwortet haben dürften – und von den Wissenschaftler:innen keine entsprechende Kontrollvariable eingeführt wurde.
Darüber hinaus betrachteten die Proband:innen in der zweiten Studie lediglich Fotos. Der Blick auf andere Körper könnte jedoch wahrscheinlicher sein, wenn das Gegenüber aus verschiedenen Blickwinkeln, also zum Beispiel auch von hinten, betrachtet wird und kein Blickkontakt besteht. Gleichzeitig könnte wahrgenommener Blickkontakt den gegenseitigen Blickkontakt fördern, was womöglich wiederum in einem verstärkt kopfbasierten Blickverhalten resultiert.
Untersuchungen mit virtueller Realität könnten zukünftig zur Verbesserung der Genauigkeit und der externen Validität beitragen.
Sowohl bei der Aussendung körperbetonter Blicke als auch bei der Provokation von Blicken auf den eigenen Körper handelt es sich um gesellschaftlich beobachtbare Phänomene. Dabei ist die Erforschung des Blickverhaltens wichtig, um Mechanismen sexueller Objektivierung zu verstehen. Obwohl sich die Eye-Tracking-Technologie zur Untersuchung von Blickverhalten eignet, lagen dazu bisher nur wenige Untersuchungen vor.
Der Zusammenhang zwischen der aktiven Provokation von Blicken und einer Tendenz zur Täter-Opfer-Umkehr bei Frauen ist hilfreich, um die Hintergründe der Untererfassung sexueller Übergriffe zu verstehen. So könnten entsprechende Einstellungen dazu führen, dass Frauen sich für sexuelle motivierte Straftaten als mitverantwortlich betrachten und diese womöglich nicht melden.
„Das Verhalten des Körperblicks kann als Signal für potenziell problematische Einstellungen und Absichten interpretiert werden“, fasst Ross Hollett, einer der Autoren der Studie, in einem Interview mit der PsyPost zusammen. Menschen sollten entsprechend aufmerksam gegenüber Blickverhalten sein, führt er weiter aus – sowohl bei sich selbst als auch bei anderen.
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