Was ist eine Klitoris und wo befindet sie sich?

Auf den Spuren eines gar nicht so kleinen Hügels

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Die-Klitoris-Anatomie
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Evolutionär gesehen läuft die Hälfte der Menschheit schon seit geraumer Zeit mit einer Klitoris durch die Gegend. Doch was sie ist und wie sie funktioniert, haben wir gerade erst zu verstehen begonnen.

Die Klitoris ist die wichtigste erogene Zone aller Menschen, die mit einer Vagina geboren wurden. Aber nicht nur Menschen, sondern alle Säugetiere und auch manche Vögel und Reptilien verfügen über eine Klitoris. Ob sie alle auch einen Orgasmus erleben, können wir jedoch nicht mit Sicherheit sagen.

Lange wurde in klitorale und vaginale Orgasmen unterschieden, womit bereits die hohe Bedeutung der Klitoris für den Orgasmus erkannt wurde. Inzwischen wird vermutet, dass jeder Orgasmus einer Person mit Vagina mit der Klitoris zusammenhängt.

Das Wort Klitoris leitet sich vom griechischen „Kleitoris“ ab, was „kleiner Hügel“ bedeutet. Was das über die Unwissenheit der antiken Griech:innen aussagt, erfährst du hier.

Eine kurze Einleitung in die Vulva

Um die Lage der Klitoris beschreiben zu können, müssen wir uns zunächst mit der Vulva bekannt machen.

Vulva, Vagina, Scheide – was ist bloß los da unten?

Wenn du nicht genau weißt, was der Unterschied zwischen diesen Wörtern ist, bist du bei Weitem nicht allein. So geht es nämlich der Hälfte aller Menschen, die über diese Geschlechtsteile verfügen – von den anderen ganz zu schweigen.

  • Vulva: Die Vulva ist der äußere Teil der Geschlechtsteile von Menschen mit einer Vagina – also alles, was man sehen kann, wenn man einer Person mit Vagina zwischen die Beine schaut. Dieser äußere Teil wird häufig fälschlicherweise als Vagina bezeichnet.
  • Vagina: Die Vagina ist Teil der inneren Geschlechtsorgane. Sie ist der etwa zwölf Zentimeter lange „Schlauch“, der von der Vulva zur Gebärmutter führt und in den man Penisse, Sexspielzeuge und Finger reinstecken kann. Die Vagina wird gerne auch Scheide genannt.
  • Scheide: Das Wort „Scheide“ ist ein Zeugnis dafür, wie lange (und teilweise immer noch) auf die Sexualität von Menschen mit einer Vagina geschaut wurde: als passiv empfangend, ohne eigene Motivation. Wie die Schwert- oder Messerscheide ist sie laut dieser Bezeichnung ausschließlich dazu da, dass man etwas – den Penis – reinsteckt.

Leider ist das Wort „Vagina“ nicht besser: Es ist Latein für „Schwertscheide“. Während wir auf der Suche nach einem neuen Wort sind (vorgeschlagen wurde etwa „Vulvina“), verwenden wir weiterhin „Vagina“, um weiteren Missverständnissen vorzubeugen.

Die Vulva im Überblick

Schauen wir uns die Vulva von hinten nach vorn an. Im hinteren Bereich grenzt die Vulva an den After und wird durch ein Stück Haut von ihm getrennt, das man „Damm“ nennt. Dann kommt eine Spalte, die „Scheidenvorhof“ genannt wird.

Diese Spalte ist der Eingangsbereich zu zwei Öffnungen: von hinten gesehen kommt zuerst die Vaginalöffnung und dann die Harnröhrenöffnung, aus der der Urin kommt. Umgeben wird der Scheidenvorhof von den Vulvalippen; einem inneren und einem äußeren Paar.

Die Vulvalippen werden in der Fachsprache Labien genannt, in der Umgangssprache auch Schamlippen. Weil sich aber niemand für die Beschützerinnen des Scheidenvorhofs schämen muss, verwenden wir dieses Wort nicht.

Über der Harnröhrenöffnung treffen die inneren Vulvalippen zusammen und bilden eine Mütze für einen erbsengroßen Körperteil, der allgemein als Klitoris oder auch Kitzler bezeichnet wird. Tatsächlich ist das nur die Klitoriseichel, die Teil eines viel größeren Organs ist.

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Übrigens gibt es so etwas wie eine „normale Vulva“ nicht. Vulven können unterschiedliche Größen, Formen und Farben haben – etwa so, wie wir alle unterschiedliche Nasen haben.

Die Klitoris ist größer als lange gedacht

Der Großteil der Klitoris ist bei der Betrachtung der Vulva nicht sichtbar, da sie im Körperinneren liegt. Wie erwähnt sieht man von außen lediglich die Klitoriseichel, die von den inneren Vulvalippen teilweise bedeckt wird. Diesen Teil der Vulvalippen nennt man auch Klitorisvorhaut und es besteht Uneinigkeit darüber, ob diese „Mütze“ Teil der Vulvalippen oder der Klitoris ist.

Klitoris-Anatomie-korrekt-Illustration-Fraulila

Hier geht es aber erst richtig los. Von der Klitoriseichel macht der Klitorisschaft einen Bogen nach oben in Richtung Venushügel und dann nach unten, wobei er sich in zwei Kitzlerschenkel aufteilt. Diese Kitzlerschenkel liegen hinter den Vulvalippen und folgen ihrem Verlauf. Sie umgeben den Vorhofschwellkörper, der wiederum die Vagina und Harnröhre umgibt.

Insgesamt ist die Klitoris ganze neun bis elf Zentimeter lang. Gar nicht schlecht für einen „kleinen Hügel“.

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Welche Rolle spielt die Klitoris beim Sex?

Bei sexueller Erregung schwellen außer der von außen sichtbaren Klitoriseichel alle Teile der Klitoris an, weil mehr Blut in ihre Gewebe gepumpt wird. Die Schwellung kann so stark sein, dass auch die Vulvalippen anschwellen.

Zudem wird durch die Schwellung die Vagina zusammengedrückt, was die Bartholin-Drüse dazu anregt, ein den Scheidenvorhof befeuchtendes Sekret abzusondern. So ist die Vagina bestens für eine etwaige Penetration gerüstet.

Noch wichtiger ist die Klitoris allerdings in ihrer Funktion als erogene Zone. Die Klitoriseichel allein ist mit 8.000 Nervenenden gespickt – das sind doppelt so viele wie bei der Peniseichel. Zudem ist die Klitoriseichel viel kleiner, dementsprechend ist die Dichte dieser Rezeptoren fünfzigmal höher als beim Penis.

Weil die Klitoris so viel empfindlicher als der Penis ist, können manche Berührungen an der Klitoriseichel deshalb sogar wehtun. Geht man es jedoch sachte mit der Stimulation an, ist die Klitoris für viele Menschen mit einer Vagina der Schlüssel zu einem Orgasmus.

Die Klitoris könnte sogar der einzige Orgasmus-Schlüssel sein. Vielen gilt der G-Punkt als besonders erogene Zone, wobei seine Existenz umstritten ist. Er soll wenige Zentimeter weit von der Öffnung entfernt in der Vagina liegen, an der dem Venushügel zugewandten Seite.

An genau diesem Punkt kommt die vordere Wand der Vagina mit dem Vorhofschwellkörper in Kontakt. Einige Wissenschaftler:innen gehen daher davon aus, dass es sich beim G-Punkt nicht um eine erogene Zone in der Vagina handelt, sondern dass hier die Klitoris indirekt stimuliert wird.

Warum gibt es die Klitoris überhaupt?

Wenn wir uns die Geschlechtsteile einer Person mit Penis anschauen, sind ihre Funktionen ziemlich klar: Im Hoden werden Spermien produziert, die nach der Vorstellung der Natur durch den Penis in eine Vagina katapultiert werden.

Der Orgasmus geht bei Menschen mit einem Penis mit rhythmischen Muskelkontraktionen einher, die dabei helfen, etwa 300 Millionen Spermien möglichst tief in die Vagina zu befördern. Dieser Orgasmus ergibt evolutionär gesehen also vollkommen Sinn.

Der Orgasmus bei Menschen mit einer Vagina dagegen hat keinen Einfluss darauf, ob und wie gut die Reproduktion funktioniert. Warum gibt es ihn also?

Ist die Klitoris der weibliche Penis?

Zum Beginn unseres Lebens sind wir kleine Zellhaufen, die sich schließlich zu Embryonen entwickeln. In diesem Zustand haben wir gewissermaßen einen „Geschlechtsteile-Baukasten“, aus dem sowohl weibliche als auch männliche Geschlechtsteile werden können.

Hat ein Embryo zwei X-Chromosomen, wird ihm bei Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen und der „Geschlechtsteile-Baukasten“ entwickelt sich zu seiner Standardeinstellung: einer Vulva, Vagina, Gebärmutter, Eileitern und Eierstöcken.

Hat der Embryo ein X- und ein Y-Chromosom, wird ihm bei Geburt das männliche Geschlecht zugeordnet. Während seiner Entwicklung werden Botenstoffe freigesetzt, die dem Baukasten signalisieren, dass er nicht den Standard, sondern die „Penis-und-Hoden-Einstellung“ ausbilden soll.

Weil die Genitalien von Menschen mit einer Vagina die Standardeinstellung sind, müsste man eigentlich sagen, dass der Penis die männliche Klitoris ist. Richtig ist aber, dass beide Organe aus demselben Teil des „Geschlechtsteile-Baukastens“ entstehen.

Gut zu wissen:

Nicht alle Embryonen entwickeln ausschließlich weibliche oder männliche Geschlechtsorgane. Bei intersexuellen Menschen sind sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsteile angelegt – beispielsweise ein Hoden links und ein Eierstock rechts.

Ist die Klitoris nur ein Zufallsprodukt?

Es ist in der Biologie nicht ungewöhnlich, dass die beiden vorherrschenden Geschlechter über ähnliche Strukturen verfügen. Man nennt das biologische Homologie oder Gleichartigkeit. Die biologische Homologie ist etwa der Grund, warum alle Menschen Brustwarzen haben, obwohl nur etwa die Hälfte davon Milch produzieren können.

Es könnte also sein, dass die Klitoris einfach ein glücklicher Zufall ist; weil Menschen mit X- und Y-Chromosomen ein Geschlechtsorgan mit vielen Nervenenden haben, haben Menschen mit zwei X-Chromosomen auch eins.

Es gibt allerdings Forscher:innen, die davon ausgehen, dass auch der weibliche Orgasmus eine Funktion gehabt haben könnte. Mit dem Orgasmus kommt es nämlich zur Ausschüttung zahlreicher Hormone, die ein beim Menschen Glücksgefühl auslösen.

Dagegen löst dieser Hormoncocktail bei anderen Säugetieren wie Ratten den Eisprung aus. Bei uns Menschen passiert der Eisprung in regelmäßigen Abständen und wird nicht von der sexuellen Aktivität beeinflusst. Weil die Hormone aber so ähnlich sind, könnte es sein, dass auch bei uns der Eisprung einst mit dem Orgasmus zusammenhing.

Warum wissen wir so wenig über die Klitoris?

Herzlichen Glückwunsch! Du bist jetzt Mitglied des exklusiven Clubs, der über ein umfangreiches Wissen über die Klitoris verfügt.

Dieser Club ist so exklusiv, weil es immer noch viele falsche Vorstellungen von der Lage, dem Aussehen und der Funktion der Klitoris und ihrer Nachbarinnen gibt.

Dieser Mangel an Wissen hat zwei miteinander verbundene Ursachen: mangelndes Wissen in der Gesellschaft und Desinteresse in der Forschung.

Die Klitoris spielt(e) keine Rolle in der Sexualaufklärung

In einer Studie haben Forscher:innen herausgefunden, dass selbst College-Student:innen davon ausgehen, dass das weibliche Gegenstück zum Penis die Vagina ist. Menschen, die das glaubten, hatten weniger Erfolg bei der Masturbation und glaubten eher an Sex-Mythen.

Die Forscher:innen gehen davon aus, dass dieser Irrglaube vorherrscht, weil Eltern mit ihren Kindern nicht über die Klitoris sprechen. In der sexuellen Erziehung wird noch heute häufig der Fokus auf die Reproduktion gelegt, bei der – wie wir wissen – die Klitoris keine Rolle spielt.

Erschwerend könnte hinzukommen, dass die Klitoris – wie die gesamte Vulva – keiner Reinigung bedarf, während Kinder mit Penissen angewiesen werden müssen, wie sie diese richtig waschen. Es gibt also keinen inhärenten Grund für Eltern, die Anatomie der Vulva zu erklären.

Wie die Forschung die Klitoris entdeckte – und dann wieder vergaß

Zur Ehrenrettung der College-Student:innen und Eltern muss allerdings gesagt werden, dass die Forschung es ihnen nicht gerade leicht gemacht hat.

Das Missverständnis, die Vagina wäre das Gegenstück zum Penis, entstammt der männlich dominierten Forschung. Schon im 16. Jahrhundert entwickelte der Begründer der modernen Anatomie, Andreas Vesalius, die Theorie, der Penis und die Vagina wäre Homologien, weil sie so gut ineinanderpassen würden.

Immerhin hatten sich Vesalius und andere Ärzte wie der Niederländer Reinier De Graaf aber mit der Anatomie der Klitoris auseinandergesetzt, obwohl ihre Darstellungen ungenau und ihre Theorien bezüglich ihres Ursprungs falsch waren.

Im 19. Jahrhundert gelang dem Anatom Georg Ludwig Kobelt sogar solch eine präzise Darstellung der Klitoris und ihrer Nerven, dass diese noch heute verwendet werden kann. Mit dem 19. Jahrhundert brach für die Klitoris jedoch ein dunkles Zeitalter an.

Es entstand der Verdacht, dass Masturbation Krankheiten wie Pocken, Hysterie und Epilepsie auslösen könnte. Als Behandlungsmethode etablierte sich die Entfernung der Klitoriseichel.

Anfang des 20. Jahrhunderts verstärkte Sigmund Freud die Vorurteile über die Klitoris noch weiter, indem er behauptete, dass nur Kinder ihre Klitoris stimulieren müssen. Eine reife Frau dagegen erlebe ausschließlich einen vaginalen Orgasmus.

Erst im Laufe des 20. Jahrhunderts, als die Klitoris bereits aus den Lehrbüchern verschwunden war, entdeckten die Feministinnen sie durch Selbstuntersuchungen wieder. Wie groß die Klitoris tatsächlich ist, entdeckte die australische Urologin Helen O’Connell im Jahr 1998.

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Die Zeiten der Klitorisentfernung zur Behandlung von Epilepsie sind glücklicherweise vorbei. Doch noch heute werden jedes Jahr im Rahmen der weiblichen Genitalverstümmelung Millionen von Klitorides zusammen mit den inneren und teilweise äußeren Vulvalippen entfernt.

In vielen Kulturen gilt diese Praxis als Norm und während eine Unterdrückung der weiblichen Lust als einer der Beweggründe angenommen werden kann, spielt Unwissenheit eine große Rolle. Die Entdeckung der Klitoris ist also noch lange nicht an ihrem Ende angekommen.

Fazit: Der kleine Hügel ist nur der Anfang

Die Klitoris ist so viel mehr als die kleine Perle, die wir von außen sehen können. Versteckt zieht sie im Hintergrund die Strippen und kann mehr als nur auf eine Weise als Zentrum der Lust dienen. Nachdem wir lange nicht genügend über die Klitoris wussten, ist jetzt hoffentlich das Zeitalter angebrochen, in dem wir unser neu erlangtes Wissen ohne Scham weitergeben können.

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