Angst vor Sex: Warum sie entsteht und was man dagegen tun kann

Angst vor Sex ist weit verbreitet, viele Betroffene leiden jedoch im Stillen. Wir haben mit einer Psychiaterin über die möglichen Gründe und Wege aus der Angst gesprochen.

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Im Film sieht Sex immer spielend leicht aus: Männer sind innerhalb von Nanosekunden bereit, Frauen haben immer Lust und der Sex gipfelt immer in unglaublichen Orgasmen – mit Feuerwerk und wunderschönem Orgasmus-Gesicht.

Dass die Wirklichkeit mit Filmen wenig zu tun hat, wissen wir eigentlich. Dennoch können diese Bilder und andere Einflüsse dazu führen, dass wir Unsicherheiten im Zusammenhang mit Sex entwickeln.

Dass wir nicht immer Lust auf Sex haben und uns vielleicht über eine bestimmte Situation Gedanken machen, ist zunächst einmal kein Problem – wir müssen schließlich nicht immer gute Laune haben und jederzeit zum Sex bereit sein.

Wenn solche Sorgen aber anhalten, das Sexleben negativ beeinflussen oder man Sex am liebsten ganz vermeiden möchte, könnte das ein Ausdruck einer sexuellen Störung sein, die im Weitesten mit einer Angst vor Sex zu tun hat.

Angst vor Sex ist weit verbreitet

„Angst vor Sex ist nicht so selten, wie man denken könnte. Aufgrund sozialer Restriktionen leiden viele Betroffene im Stillen, statt ihre Angst offen anzusprechen“, sagt die Diplom-Psychiaterin Dr. Nereida Gonzalez-Berrios.

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Im Englischen spricht man von „Sexual Performance Anxiety“ und schreibt sie meist Männern zu. Das ist aber nicht ganz richtig. Laut einer Studie aus dem Jahr 2020 sind neun bis 25 Prozent der untersuchten Männer von einer Angst vor Sex betroffen, die Frauen sind aber immerhin mit sechs bis 16 Prozent in diesem unglücklichen Rennen dabei. Für Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau identifizieren, liegen keine konkreten Studien vor.

Die besagte Studie geht sogar davon aus, dass Angst vor Sex die Ursache der meisten sexuellen Dysfunktionen ist oder maßgeblich dazu beiträgt, solche zu erhalten.

Ängste in Zusammenhang mit Sex können beim ersten Sex mit neuen Sexualpartner:innen ebenso auftreten wie bei lange verheirateten Paaren; sie sind unabhängig vom Alter und der sexuellen Erfahrung.

Wie erkennt man Angst vor Sex?

Sowohl bei sich selbst als auch bei anderen kann es manchmal eine Herausforderung sein, Gefühle richtig zu deuten. Leider gibt es keine abschließende Checkliste, mit der man ein „Ja“ oder „Nein“ hinter die Fragen setzen kann, ob jemand Angst vor Sex hat. Es gibt jedoch einige Anzeichen.

Habe ich Angst vor Sex?

Manchmal machen wir uns um so vieles in unserem Leben Sorgen, dass wir die Wurzeln dieser Ängste nicht klar erkennen können. Folgendes können laut Dr. Nereida Gonzalez-Berrios Zeichen dafür sein, dass es der Sex ist, der uns Bauchschmerzen bereitet:

  • Nervosität, wenn man mit dem/der Partner:in zusammen ist
  • Ständige Gedanken an Pannen, die beim Sex passiert sind oder passieren könnten
  • Keine Lust auf Sex
  • Eine generelle Angst, von anderen be- und verurteilt zu werden
  • Ein Gefühl, dass mit dem eigenen Körper etwas nicht stimmt

Angst vor Sex bei Partner:innen erkennen

Bei Frauen erkennt man eine Angst vor Sex laut der Sex-Therapeutin Dr. Claudia Six meist daran, dass sie kein Interesse an Sex zeigen und Probleme bei der Erregung und dem Orgasmus haben. Bei Männern äußere sie sich in Erektionsstörungen und vorzeitigem Samenerguss.

Angst vor Sex oder asexuell?

Angst vor Sex beziehungsweise die damit einhergehende Lustlosigkeit kann leicht mit Asexualität verwechselt werden. Das Asexual Visibility and Education Network, der größten Vereinigung asexueller Personen, hält zahlreiche Informationen darüber bereit, was Asexualität ist und wie sie von bloßer Lustlosigkeit abgegrenzt werden kann.

Wie entsteht eine Angst vor Sex

Die Sexualpädagogin Dr. Emily Nagoski erklärt in einem Vortrag eindrücklich, wie sexuelle Lust funktioniert: Wir alle haben ein sexuelles Gaspedal und eine sexuelle Bremse. Um erregt zu werden, müssen wir den Fuß von der Bremse nehmen und das Gaspedal runterdrücken. Verschiedene Faktoren können aber dazu führen, dass unsere Bremse fest angezogen ist und sich nicht so leicht lösen lässt oder dass wir das Gaspedal nicht finden.

Frühkindliche Prägung

Schon früh lernen viele Kinder, dass Sex etwas Gefährliches ist. Ihnen wird gesagt, dass sie ihre Geschlechtsteile nicht berühren, besprechen oder zeigen dürfen. So wird Sexualität laut der Sexualpädagogin Amy Jo Goddard mit Scham behaftet und viele gehen ihr Leben lang davon aus, dass es beim Sex darum geht, etwas zu verlieren oder aufzugeben.

Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper

Insbesondere wenn wir soziale Medien wie Instagram konsumieren, werden wir mit unrealistischen Schönheitsidealen förmlich überschwemmt. Doch auch Netflix und Co. zeigen uns immer wieder muskelbepackte, schlanke Erwachsene ohne Akne mit perfekten Bärten oder Brüsten, die uns als ganz normale Teenager präsentiert werden.

Das führt dazu, dass immer mehr Menschen unzufrieden mit ihrem eigenen Körper sind. Ein Drittel der untersuchten College-Studentinnen in einer bereits 2000 durchgeführten Studie (drei Jahre vor der Gründung von Facebook) gaben an, bei heterosexuellem Sex unzufrieden mit ihrem Körper zu sein, was mit einer Vermeidung von Sex in Verbindung gebracht werden konnte.

Im Jahr 2015 wurden junge Soldaten in einer weiteren Studie untersucht. Ebenfalls ein Drittel von ihnen waren mit dem Aussehen ihrer Geschlechtsteile unzufrieden, was regelmäßig zu Erektionsstörungen führte.

Bei all der Unzufriedenheit vergessen wir manchmal, dass unsere Partner:innen ein gänzlich anderes Bild von uns haben. Sie kann dazu führen, dass wir fürchten, beim Sex zu enttäuschen oder dass unser Gegenüber nicht mit uns schlafen möchte, sobald es uns nackt sieht.

Beziehungsprobleme

Laut Dr. Nereida Gonzalez-Berrios kann eine Angst vor Sex auch in der Beziehung zum Sexualpartner oder der Sexualpartnerin liegen. Eine emotionale Distanz oder ständiger Streit können bereits zu einer Reduktion der Libido führen. Wenn Partner:innen darüber hinaus unsensibel reagieren, wenn es mit dem Sex mal nicht so richtig klappen möchte, kann das die Wurzel von Ängsten im Zusammenhang mit Sex sein.

Sex geht zudem mit einer großen Portion Vertrauen einher. Wenn bereits eine Angst vor Intimität besteht, kann diese Angst leicht auf den Sex übertragen werden.

Gesundheitsprobleme

Verschiedene gesundheitliche Probleme können dazu führen, dass man Schmerzen beim Sex erlebt oder die Lust daran verliert. Eine Sucht – etwa nach Alkohol oder anderen Drogen – kann dem Sexleben einen gewaltigen Dämpfer verpassen.

Aber auch psychische Probleme, wie Depressionen und Angststörungen, und Stress können die Wurzel des Problems sein. Auch der übermäßige Konsum von Pornos kann die Lust bei Männern und die sexuelle Energie bei Frauen reduzieren.

Der Sex-Angst-Teufelskreis

Alle oben genannten Faktoren zusammen mit Stress, kulturellen Vorurteilen gegenüber Sexualität und Erlebnissen, bei denen der Sex nicht geklappt oder den eigenen Erwartungen nicht entsprochen hat, können einen Teufelskreis in Gang setzen.

Etwas ist schiefgelaufen, eine Angst vor einer ähnlichen Situation entsteht und diese Angst erzeugt Erektionsstörungen oder Probleme mit der Erregung oder dem Orgasmus. Das verstärkt die Angst noch weiter und so kommt der Teufelskreis ins Rollen.

Traumatische Erlebnisse

Eine Angst vor Sex kann ihren Ursprung auch in einer traumatischen Erfahrung entweder im Kindes- oder auch im Erwachsenenalter haben. Solche Erfahrungen lassen emotionale Narben zurück, die eine positive Einstellung gegenüber Sex zu einer großen Herausforderung machen.

Wann sollte man sich an Expert:innen wenden?

Wenn die Angst vor Sex ihren Ursprung in einer traumatischen Erfahrung wie sexuellem Missbrauch hat, sollte man sich unbedingt professionelle Hilfe suchen. Ein gibt ein kostenloses Hilfe-Telefon für Kinder und Jugendliche, die von sexuellem Missbrauch betroffen sind. Dort kann man sich auch als erwachsene Person melden, wenn man als Kind betroffen war oder wenn man ein betroffenes Kind unterstützen möchte.

Einen Psychotherapieplatz findet man unter anderem bei der Deutschen Psychotherapeuten-Vereinigung. Dort kann man auch ausschließlich nach Plätzen für Kassenpatient:innen suchen. Weitere Ansprechpartner:innen bei der Suche nach einem Therapieplatz sind Hausärzt:innen, Krankenkassen und andere Ärztliche Vereinigungen.

Man sollte sich außerdem an eine:n Expert:in wenden, wenn die Angst vor dem Sex zunehmend stärker wird.

Was tun gegen die Angst vor Sex

Leider gibt es kein Geheimrezept für guten, sorgenfreien Sex. In mehreren kleinen Schritten kann man sich aber immer näher an das eigene Rezept herantasten.

Was drückt auf deine Bremse?

Wie oben erklärt, haben wir eine sexuelle Bremse und ein sexuelles Gaspedal. Wenn du Angst vor Sex hast, besteht ein guter erster Schritt darin, den Fuß auf deiner Bremse zu identifizieren. Vielleicht ist es eine der aufgelisteten Ursachen, vielleicht ist es etwas anderes.

In ihrem Vortrag erklärt Dr. Emily Nagoski, dass die magischen Schlüssel „Selbstbewusstsein“ und „Freude“ heißen.

Weil man Selbstbewusstsein und Freude nicht im Supermarkt kaufen kann, liefert sie zunächst eine Definition für beide Begriffe: „Selbstbewusstsein ist, die Wahrheit über sich selbst zu wissen. Freude ist, die Wahrheit über sich selbst zu lieben.“

Für die Suche nach beiden rät Dr. Emily Nagoski zu einer leicht vorgeschlagenen, aber gar nicht so einfach umgesetzten Übung: Stelle dich nackt (oder so nackt wie möglich) vor einen Spiegel, schaue dich an und schreibe alles auf, was du an dir selbst magst. Am besten tust du das nicht nur einmal, sondern jeden Tag. Denn je öfter du dir deiner eigenen Schönheit bewusst wirst, desto weniger drücken negative Gedanken über deinen Körper auf die Bremse.

Was gefällt dir?

Damit du kräftig auf dein Gaspedal drücken kannst, musst zu zunächst wissen, was dir gefällt. Auch heute deckt der Sexualunterricht in Schulen meist nur das Wissen über Fortpflanzung und Geschlechtskrankheiten ab. Über Lust und Erregung lernen wir erst später – und im Zweifel nicht das Richtige.

Deine sexuellen Vorlieben kannst du im „Selbststudium“ herausfinden. Und das bedeutet: Masturbation. Um die Selbstbefriedigung ranken sich zahlreiche Vorurteile und Sprüche wie „Tausend Schuss, dann ist Schluss“, legen nahe, dass wir uns lieber nicht selbst anfassen sollten.

Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Eine Studie aus dem Jahr 2008 belegt, dass Solo-Sex sogar unser sexuelles Wohlbefinden steigern kann. Auf unserer Webseite kannst du noch mehr über die Vorteile und Mythen rund um Masturbation lesen.

Wenn du nicht so recht weißt, wo du mit der Selbstbefriedigung überhaupt anfangen sollst und wie sich deine Vorlieben auf den Sex mit anderen übertragen lässt, findest du auch dazu eine Fülle an Informationen in unserem Sex-Ratgeber.

Offene Kommunikation

Obwohl man im Englischen oft von „Sexual Performance Anxiety“ spricht, ist Sex keine Show. Sex ist ein Zusammenspiel zwischen dir und dem Menschen, mit dem du Sex hast. Dafür ist offene Kommunikation unumgänglich.

Dein Gegenüber kann schließlich nur dann auf deine Vorlieben eingehen, wenn sie oder er von ihnen weiß. Und wenn du dir umgekehrt Sorgen machst, die andere Person nicht befriedigen zu können, hilft meist die Frage: „Was gefällt dir?“

Auch in diesem Fall ist Wissen natürlich Macht. Besonders in heterosexuellen Beziehungen lohnt es sich, mehr über die Anatomie des anderen Geschlechts zu lernen. Ohne Straßenkarte und Navigationssystem kann man in einer fremden Stadt nämlich schnell verloren gehen.

Dass offene Kommunikation eine direkte Verbindung zu gutem Sex hat, hat auch eine Studie aus dem Jahr 2017 gezeigt. In einer Untersuchung von 142 Paaren waren diejenigen, die mehr über Sex sprachen, zufriedener mit ihrem Sexleben und die Frauen in diesen Beziehungen kamen zudem häufiger zum Orgasmus.

Kleine Schritte führen schließlich zum Ziel

Mit einem Gespräch und einer Runde Solo-Sex ist das Problem in der Regel nicht sofort gelöst. Auf dem Weg zu angstfreiem Sex rät Dr. Nereida Gonzalez-Berrios dazu, zunächst andere Formen der Intimität zu erkunden.

Auf welche andere Art kannst du mit deiner Partnerin oder deinem Partner intim werden, ohne zu viel Druck aufzubauen? Vielleicht reichen Kuscheln und Küssen für den Anfang aus. Und wenn du für Sex bereit bist, versuche den Fokus nicht nur auf die Erregung und den Orgasmus zu setzen. Was drumherum passiert, verdient deine Aufmerksamkeit ebenso und trägt zu einem lustvollen, erfüllenden Erlebnis bei.

Wie kann man betroffene Personen unterstützen?

Wenn dein Gegenüber Angst vor Sex hat, kannst du sie oder ihn maßgeblich unterstützen. Indem du ihr oder ihm zuhörst und sagst, was du an ihr oder ihm magst, kannst du negative Gedanken und positive Aussichten verwandeln.

Du kannst auch nicht-sexuelle Formen der Intimität anbieten, wie kuscheln, massieren, küssen und Händchen halten. Das hilft nicht nur beim Überwinden von Ängsten, sondern stellt auch eine tiefere emotionale Verbindung zwischen euch her.

Fazit: Spüren, reden, geduldig sein

Eine Angst vor Sex kann zahlreiche Ursachen haben – auch solche, auf die dieser Artikel nicht eingegangen ist. Zögere nicht, dir professionelle Unterstützung zu suchen, wenn dir unsere Tipps nicht weiterhelfen.

Das Erkunden deiner eigenen Bedürfnisse, das Loslassen von negativen Erfahrungen und Gedanken über dich selbst und eine offene Kommunikation mit Sexualpartner:innen (einschließlich One-Night-Stands) sind leicht gesagt. Bei der Umsetzung wirst du aber viel Geduld mit dir selbst haben müssen. Sei nicht wütend auf dich selbst, wenn du nicht sofort Lust auf Sex hast, sondern begegne dir selbst mit demselben Verständnis, das du auch anderen gegenüber aufbringen würdest.

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