Gibt es vaginale Orgasmen wirklich?

Bei uns erfährst du, ob es wirklich einen Unterschied zwischen vaginalem und klitoralem Orgasmus gibt, und wie du ihn erreichst.

Aktualisiert am 19. September 2023
Mareike Steiner

Recherchiert und verfasst von

Mareike Steiner, Journalistin

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Überprüft und editiert von

Nina Nguyen

Gibt es vaginale Orgasmen wirklich - Illustration Fraulila
In diesem Artikel

Immer wieder wird von Wissenschaftler:innen und Menschen mit Vagina behauptet, dass sich vaginale und klitorale Orgasmen voneinander unterscheiden. Andere hingegen behaupten, dass es keinen messbaren Unterschied gibt.

Wir haben mit dem Psychiater, Psychologen und Sexualtherapeuten Dr. Ketan Parmar über den aktuellen Stand der Forschung gesprochen und herausgefunden, warum der vaginale Orgasmus so umstritten ist.

Was ist ein vaginaler Orgasmus?

Orgasmen sind subjektive Erfahrungen – wie der Geschmack von Schokolade oder der Geruch von Parfum. Trotzdem gibt es viel Forschung dazu, wie unterschiedliche Menschen Orgasmen erleben und wie sie diese erreichen.

Allgemein werden Orgasmen als intensives Gefühl der Befriedigung in den Genitalien und dem ganzen Körper und Höhepunkt der sexuellen Erregung beschrieben. Zwischen Menschen mit Penis und Menschen mit Vagina gibt es dabei keine nennenswerten Unterschiede.

Menschen mit Vagina erleben einer Studie zufolge lediglich etwas öfter Orgasmen im ganzen Körper, rhythmische Empfindungen und Gefühle von Hitze oder Kälte.

Zum Orgasmus kommen Menschen auf unterschiedliche Arten und Weisen. In der Regel passiert das durch die Stimulation von Geschlechtsorganen, es gibt jedoch auch andere erogene Zonen, deren Stimulation einen Orgasmus auslösen kann. Es gibt sogar den Bericht einer Frau, die spontane Orgasmen in ihrem linken Fuß hatte.

Den Unterschied zwischen vaginalem und klitoralem Orgasmus beschreibt Dr. Parmar so: „Der klitorale Orgasmus wird mit der direkten oder indirekten Stimulation der Klitoris – eines empfindlichen und nervenreichen Organs am oberen Ende der Vulva – in Verbindung gebracht. Vaginale Orgasmen stehen in Verbindung mit der Stimulation der Vagina beim penetrativem Sex.“

Existiert der vaginale Orgasmus wirklich?

Um herauszufinden, ob bei der Stimulation von Vagina und Klitoris unterschiedliche Orgasmen entstehen, haben Forscher:innen zwei Optionen: Untersuchungen und Befragungen.

Aktuelle Daten zu Befragungen stammen aus einer Metastudie (eine Zusammenfassung unterschiedlicher Studien) und einer Studie von Schweizer Forscher:innen. Sie ergeben, dass vaginale und klitorale Orgasmen unterschiedliche Empfindungen hervorrufen:

Unterschied vaginaler Orgasmus und klitoraler Orgasmus
Vaginaler OrgasmusKlitoraler Orgasmus
Wild

Tief

Pulsierend

Langanhaltend

Diffus

Psychisch befriedigend

Höhere Wahrscheinlichkeit multipler Orgasmen
Durchdringend

Leichter zu erreichen

Kontrollierbar

Lokalisiert

Kurz anhaltend

Oberflächlich

Befragungen geben uns einen guten Einblick in die subjektiven Erlebnisse von Menschen. Anders als bei einem kontrollierten Versuch ist bei Befragungen allerdings nicht ersichtlich, wodurch ein Orgasmus genau verursacht wurde.

Die Ergebnisse hängen zudem stark davon ab, wie die Fragen gestellt werden und welche Vorurteile oder Erwartungen die Befragten haben. Wenn wir Informationen aufgrund von Erwartungen oder Vorurteilen verzerrt wahrnehmen, spricht man von einem Confirmation Bias oder Bestätigungsfehler.

Die Rolle des G-Punktes beim vaginalen Orgasmus

Der vaginale Orgasmus wird oft mit dem G-Punkt in Verbindung gebracht. Laut der allgemeinen Annahme soll es an der vorderen Seite der Vaginalwand einen Punkt geben, der besonders empfänglich ist für Berührungen und dessen Stimulation einen Orgasmus erzeugen kann.

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Der G-Punkt soll sich an der vorderen Seite der Vaginalwand befinden.

Die Wissenschaft kann allerdings bis heute nicht sicher sagen, ob es den G-Punkt gibt und ob es sich dabei tatsächlich um einen Bereich in der Vagina handelt. Andere glauben nämlich, dass an dieser Stelle lediglich die Klitoris indirekt durch die Vaginalwand stimuliert wird.

Oft wird der etwa erbsengroße Körperteil oberhalb der Harnröhrenöffnung als Klitoris bezeichnet. Dabei handelt es sich allerdings nur um die Klitoriseichel. Wie bei einem Eisberg kann man den Großteil der Klitoris nicht von außen sehen.

Von der Klitoriseichel macht sie im Körperinneren einen Bogen nach oben und teilt sich in zwei Schenkel, die sich um die Harnröhre und Vagina schlingen und parallel zu den Vulvalippen verlaufen. Insgesamt erreicht die Klitoris eine Länge von neun bis elf Zentimetern.

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Die Klitoris besteht aus weit mehr als nur der Klitoriseichel, die von außen sichtbar ist.

Über die meisten Nervenenden verfügt die Klitoriseichel, doch auch der Rest der Klitoris ist sehr empfänglich für Stimulation. Die Theorie vieler Wissenschaftler:innen lautet, dass die Klitoris bei vaginaler Penetration an der Stelle stimuliert wird, wo sie mit der Vagina in Kontakt kommt.

Anders als bei Befragungen kann man klinische Untersuchungen nicht ohne Weiteres an hunderten oder tausenden Menschen durchführen. Wissenschaftliche Evidenz stammt daher überwiegend von Studien, die nur wenige Menschen untersuchen.

So wurde 2009 mit Ultraschalluntersuchungen bei fünf Proband:innen gezeigt, dass bei der vaginalen Penetration die Klitoriswurzel stimuliert wird. Für sich allein hat die Studie aufgrund der kleinen Stichprobe eine geringe Aussagekraft.

Sie wird allerdings dadurch gestützt, dass der Versuch mehrmals erfolgreich wiederholt wurde: In den Jahren 2010 und 2013 wurden dieselben Ergebnisse bei einem Paar und drei Untersuchten erzielt.

Wie viele Menschen können allein durch vaginale Stimulation zum Orgasmus kommen?

Biologisch sind alle Geschlechter gleichermaßen in der Lage, einen Orgasmus zu erleben. In der Praxis kommen in heterosexuellen Beziehungen die Menschen mit Penis allerdings deutlich öfter als die Menschen mit Vagina.

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Das liegt unter anderem an dem starken Fokus auf penetrativen Sex. Unterschiedliche Studien haben ergeben, dass Menschen mit Vagina nur zu sechs bis 18 Prozent einen Orgasmus ohne direkte klitorale Stimulation haben können. Die restlichen Befragten benötigten dafür entweder ausschließlich klitorale oder sowohl vaginale als auch klitorale Stimulation.

Ist der vaginale Orgasmus erstrebenswert?

Die Idee, Menschen mit Vagina könnten zwei unterschiedliche Arten von Orgasmen haben, stammt von Sigmund Freud. Er bezeichnete den klitoralen Orgasmus als kindlich und behauptete, dass gesunde erwachsene Frauen einen vaginalen Orgasmus erreichen können sollten. Waren sie dazu nicht in der Lage, mussten sie Freud zufolge eine sexuelle Störung haben, die er als Frigidität bezeichnete.

Zu diesen Behauptungen sagt Dr. Parmar: „Diese Theorie wurde vielfach kritisiert und wird nicht von der modernen Sexualwissenschaft gestützt.“

Auch Freud war bewusst, dass die meisten Menschen mit Vagina nicht allein durch penetrativen Sex zum Orgasmus kommen können. Das bewog ihn aber nicht zum Überdenken seiner Theorie, sondern zu dem Schluss, dass die meisten Menschen mit Vagina sexuell gestört seien.

Seine Theorie hat bis heute Bestand, weil sie bequem ist: Statt sich mit den Möglichkeiten der klitoralen Stimulation auseinanderzusetzen, können Menschen mit Penis die Verantwortung für den Orgasmus auf Menschen mit Vagina abwälzen.

In der feministischen Literatur wird die Fixierung auf den vaginalen Orgasmus deshalb als Kontrolle der Sexualität von Menschen mit Vagina kritisiert. Der Eindruck, es gäbe einen „richtigen“ und einen „falschen“ Orgasmus, hindere Menschen daran, ihre Sexualität frei zu erkunden.

So sieht es auch Dr. Parmar: „Das Konzept eines ‚realen‘ oder ‚idealen‘ Orgasmus kann Druck und unrealistische Erwartungen erzeugen. Jede sexuelle Reaktion ist anders und alle Arten von Orgasmus – ob klitoral, vaginal oder anders – sind echt.“

Das bedeutet allerdings nicht, dass Orgasmen insgesamt überbewertet sind. Obwohl auch Sex ohne Orgasmus Spaß machen kann, sind Orgasmen die wichtigsten Indikatoren für sexuelle Zufriedenheit. Wodurch Orgasmen erreicht werden, sollte allerdings zweitrangig und nicht durch die Ideen sexistischer Psychoanalytiker beeinflusst sein.

Wie kann man einen vaginalen Orgasmus erreichen?

Statistisch gesehen ist es eher unwahrscheinlich, dass du einen reinen vaginalen Orgasmus erreichen kannst. Statt dich zu sehr auf den vaginalen Orgasmus zu fokussieren, ist es daher für deine sexuelle Zufriedenheit eher förderlich, wenn du dich auf die klitorale Stimulation konzentrierst.

Falls du aber mit deinem Sexleben zufrieden bist und lediglich eine neue Erfahrung ausprobieren möchtest, hat Dr. Parmar ein paar Tipps für dich: „Führe zunächst ein offenes Gespräch über deine Wünsche mit deinem/deiner Partner:in. Probiert unterschiedliche Positionen aus, um herauszufinden, was sich am besten anfühlt.

Vorspiel und klitorale Stimulation – entweder vor oder beim penetrativem Sex – können die Erfahrung weiter verbessern. Behalte aber trotzdem im Hinterkopf, dass es absolut normal ist, wenn du nicht allein durch vaginale Penetration zum Orgasmus kommen kannst.“

Noch mehr Tipps zu vaginalen Orgasmen mit ausführlichen Erklärungen findest du in unseren Artikeln zum G-Punkt und zum A-Punkt.

Tipps für mehr Orgasmen

Falls du sowohl bei der klitoralen als auch vaginalen Stimulation Schwierigkeiten mit dem Orgasmus hast, kannst du mittels Masturbation ausprobieren, welche Berührungen und Bewegungen sich für dich gut anfühlen.

Bei der Selbstbefriedigung kommen Menschen mit Vulva etwas öfter zum Orgasmus, weshalb sie eine gute Möglichkeit für Experimente ist. Dabei geht es allerdings nicht um Übung, denn eine finnische Metastudie hat herausgefunden, dass besonders häufiges Masturbieren sogar die Häufigkeit der Orgasmen beim Sex mit anderen senkt.

Sowohl die finnische als auch eine Studie aus der Schweiz haben mehrere Faktoren ermittelt, welche die Wahrscheinlichkeit für Orgasmen senken und erhöhen. Weniger Orgasmen bei Menschen mit Vagina hingen zusammen mit:

Öfter kam es zu Orgasmen, wenn diese Voraussetzungen gegeben waren:

  • Sex wird auch ohne Orgasmus als vollwertig angesehen
  • Großes sexuelles Selbstbewusstsein
  • Offene Gespräche über Sex mit Partner:innen
  • Sex wird von beiden Partner:innen gleichermaßen initiiert
  • Partner:in ist interessiert an unterschiedlichen sexuellen Techniken
  • Sex dauert länger als 15 Minuten
  • Oralsex ist mindestens Bestandteil des Vorspiels

Menschen mit Vagina haben außerdem häufiger Orgasmen, wenn sie Sex aktiv gestalten. Die Schweizer Studie hat ergeben, dass Menschen mit Vagina dann öfter zum Orgasmus kommen, wenn sie sich bewegen.

Bei der Masturbation bedeutet das, dass du nicht mit den Fingern oder dem Vibrator die Bewegung auf der Klitoris oder in der Vagina ausführen solltest, sondern indem du deinen Unterleib bewegst. Beim Sex kommen Menschen mit Vagina in Bewegung, wenn sie beispielsweise von der passiven Missionarsstellung in die aktive Reiterstellung wechseln.

Solltest du grundsätzlich Schwierigkeiten mit Orgasmen haben, kannst du darüber mit deinem/deiner Gynäkolog:in oder Hausärzt:in sprechen. Für viele körperliche Probleme gibt es unkomplizierte Lösungen.

Fazit: Mach’s wie’s dir gefällt

Bei Studien und Befragungen werden stets vielfältige Erfahrungen zu einem Durchschnitt zusammengefasst. Dadurch lassen sich Aussagen für einen Großteil der Bevölkerung fällen, die aber nicht auf jedes Individuum zutreffen. Das A und O lautet deshalb Ausprobieren – unsere Tipps und Tricks können eine gute Leitlinie sein, beachte aber dennoch deine individuellen Vorlieben.

Das sagt auch Dr. Parmar: „Jede Reise zu sexueller Befriedigung ist persönlich und einzigartig. Es geht nicht darum, eine bestimmte Art von Orgasmus zu erreichen, sondern herauszufinden, was sich für dich gut und befriedigend anfühlt.“

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