Was ist ein Jungfernhäutchen?
Das Jungfernhäutchen: Einblicke in seine Anatomie, Bedeutung(slosigkeit) und den dringenden Bedarf an einer korrekten sexualkundlichen Aufklärung.
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Das Jungfernhäutchen: Einblicke in seine Anatomie, Bedeutung(slosigkeit) und den dringenden Bedarf an einer korrekten sexualkundlichen Aufklärung.
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In unseren Köpfen gibt es ein uraltes Skript: Beim ersten Mal Sex wird das Jungfernhäutchen durchstoßen, anschließend ist es irreparabel beschädigt. Ein Blick auf die Vaginalöffnung genügt, um zu erkennen, dass die Person mit Vulva keine Jungfrau mehr ist. Diese Vorstellung ist ebenso falsch, wie sie weitverbreitet ist.
In Wirklichkeit haben das Jungfernhäutchen und sein Zustand nichts mit Jungfräulichkeit zu tun. Wir haben mit Eli Scriver, zertifizierter Sexualpädagoge und Content Creator für Lehrmaterialien, über dieses mysteriöse Körperteil gesprochen; wie es aussieht, wo du es findest und was damit beim Sex wirklich passiert.
Das Jungfernhäutchen ist ein dünnes Stück Schleimhaut innerhalb der Vaginalöffnung. Es befindet sich etwa ein bis zwei Zentimeter hinter der Vaginalöffnung und sieht bei jedem Menschen anders aus.
Bei der am häufigsten auftretenden Form bildet das Jungfernhäutchen einen ringförmigen Saum; wie ein hauchdünner Donut. Dieser Donut kann Lücken oder Öffnungen enthalten und an einer Seite breiter sein als an anderen.
Statt eine große Öffnung zu haben, kann das Jungfernhäutchen von einem oder mehreren Gewebebändern geteilt werden. So entstehen zwei oder mehrere Öffnungen, durch welche vaginaler Ausfluss und Menstruationsblut gut abfließen können. Das Einführen von Tampons kann diese Art von Jungfernhäutchen allerdings erschweren.
Jungfernhäutchen können auch mikroperforiert sein. Ein mikroperforiertes Jungfernhäutchen hat viele kleine Öffnungen und erinnert dadurch an ein Sieb. Die Öffnungen können so klein sein, dass das Menstruationsblut nicht ordentlich abfließen kann. Menschen mit solchen Jungfernhäutchen können keine Tampons benutzen.
Es gibt auch Menschen, die vollkommen ohne Jungfernhäutchen geboren werden. Generell kann es schwierig sein, die Form des Jungfernhäutchens zu erkennen, weil es genau so aussieht wie der Rest der Vagina.
Viele Menschen gehen davon aus, dass Menschen mit einer Vulva mit einem geschlossenen Jungfernhäutchen geboren werden, welches beim ersten Mal Sex eingerissen wird und dass dabei immer eine Blutung entsteht.
Wird daraufhin die Vaginalöffnung untersucht, soll klar erkennbar sein, dass die untersuchte Person bereits Sex hatte. Das glauben sogar manche Menschen, die in Gesundheitsberufen arbeiten.
Das Jungfernhäutchen ist allerdings nicht wie die Folie auf einem Joghurtbecher, die man einfach abziehen oder durchstoßen kann. Es ist eher mit einem Jackenärmel mit Gummizug oder einem Haargummi vergleichbar, dessen Öffnung bei jedem Menschen unterschiedlich groß ist.
Hat der Ärmel eine kleine Öffnung und steckt man einen breiten Arm durch, können einige Nähte reißen, aber dadurch geht der Ärmel nicht kaputt. Hat der Ärmel eine breite Öffnung, dehnt sich der Gummizug aus und zieht sich anschließend wieder zusammen.
Genau so verhält es sich mit dem Jungfernhäutchen. Dieses wird beim ersten Sex nicht komplett zerstört, sondern nur gedehnt. Ist seine Öffnung eher klein, kann es dabei zu einem kleinen Riss kommen, der kurz wehtut.
Oft ist das aber nicht der Fall, sagt Eli Scriver: „Normalerweise hat sich das Jungfernhäutchen bis zum Zeitpunkt des ersten Geschlechtsverkehrs so sehr gedehnt, dass es zu einem flexiblen Gewebeband geworden ist.“
„Diese natürliche Dehnung passiert beim Heranwachsen, durch normale Bewegungen, Menstruation und Masturbation. Beim ersten Mal sollte man genügend Gleitgel verwenden und das Jungfernhäutchen manuell dehnen (Fingern), dann verursacht das Jungfernhäutchen auch keine Schmerzen.“
Beim ersten Sex kommt es nicht zwangsläufig zu einer Blutung, denn das Jungfernhäutchen wird nur von wenigen Blutgefäßen versorgt. Wenn es zu einer Blutung kommt und der Sex gleichzeitig schmerzhaft ist, kann eine Verletzung der Vaginalwand der Grund dafür sein.
Wie viele Menschen genau beim ersten Mal bluten, ist laut Eli Scriver schwer zu sagen: „Wir haben keine genauen Zahlen dazu, da Menschen im Allgemeinen nicht so gerne über Sex sprechen. Die Ergebnisse der Sexualforschung werden abhängig von der Demografie, den sozialen Normen und dem Umfang und der Qualität der Sexualaufklärung verzerrt.“
Er schätzt jedoch: „Weniger als die Hälfte der Menschen bluten beim ersten Mal Sex.“
Kommt es zu einem Riss, heilt dieser schnell wieder ab und aufgrund des vielfältigen Aussehens von Jungfernhäutchen kann anschließend niemand mit Sicherheit sagen, ob die betreffende Person zuvor Sex hatte.
Das zeigen sogar Studien, in denen die Jungfernhäutchen von schwangeren Menschen und Menschen, die noch nie Sex hatten, untersucht wurden. Ihre Jungfernhäutchen sahen so ähnlich aus, dass die Wissenschaftler:innen ohne das Vorliegen der Schwangerschaften nicht hätten sagen können, welche untersuchte Person zuvor Sex hatte.
Selbst bei Kindern, die sexuelle Gewalt erfahren haben, kann man dies nicht zweifelsfrei an der Beschaffenheit des Hymen feststellen.
Sex ist zudem nicht der einzige Grund für eine Dehnung oder ein Reißen des Jungfernhäutchens. Das kann ebenso beim Sport, einem Unfall, dem Einführen eines Tampons oder einer gynäkologischen Untersuchung passieren.
Reißt das Jungfernhäutchen beim Einführen eines Tampons, bemerkt man aufgrund des Periodenbluts gar nicht, falls es dabei zu einer Blutung kommt. Weil das so leicht passieren kann, wissen selbst viele Erwachsene nicht genau, wann und ob ihr Jungfernhäutchen gerissen ist.
Weil sie sich nicht überprüfen lässt, ist Jungfräulichkeit kein medizinischer Zustand, sondern ein soziales Konstrukt. Trotzdem ist und war sie in vielen Kulturen so wichtig und der Irrglaube über das Jungfernhäutchen so mächtig, dass hieraus ein sprachlicher Zusammenhang entstand.
Die große Bedeutung der Jungfräulichkeit ist eng mit der Unterdrückung der Sexualität von Menschen mit Vulva verbunden. Denn nur, wenn eine Person mit Vulva vor der Ehe keinen Sex hatte, konnte eine Person mit Penis sicher sein, dass die gemeinsamen Kinder nicht von jemand anders gezeugt wurden.
So entstanden Vorstellungen über Reinheit und Unschuld, die sich etwa im christlichen Glauben in der Figur der jungfräulichen Maria widerspiegeln. Noch heute ist die Sexualität von Menschen mit Vulva negativ belegt; haben sie beispielsweise Sex mit vielen unterschiedlichen Partnern, wird dies deutlich negativer gewertet als bei Menschen mit Penis.
Einen ähnlichen Hintergrund hat der Fachausdruck für das Jungfernhäutchen: Hymen. Das Wort wird von „Hymenaeus“ abgeleitet – dem Namen für den antiken griechischen Gott der Ehe. Auch damit wird ein Zusammenhang des Jungfernhäutchens mit dem ersten Sex hergestellt.
Weil mit dem Begriff Jungfernhäutchen ein falsches Bild von der Sexualität von Menschen mit Vulva erzeugt wird, wurde in Schweden das schwedische Wort mödomshinna (Jungfernhäutchen) gegen das Wort slidkrans (Vaginalkranz, Vaginalkrone oder Vaginalkorona) ausgetauscht.
Die Verbreitung des Wortes führte laut einer Studie aus dem Jahr 2018 dazu, dass sich Vorurteile über das Jungfernhäutchen und die Sexualität von Menschen mit Vulva reduziert hatten.
Wir finden deshalb, dass auch das Wort Jungfernhäutchen nicht mehr verwendet werden sollte. Obwohl das Wort Hymen keine viel bessere Bedeutung hat, halten wir es für ein angemesseneres Wort. Es ist im wissenschaftlichen Diskurs bereits etabliert und bis auf Expert:innen für antike griechische Mythologie kennt kaum jemand dessen Bedeutung.
Wenn es kein Indikator für Jungfräulichkeit ist, warum haben Menschen überhaupt ein Hymen? Diese Frage kann die Wissenschaft bis heute nicht zweifelsfrei beantworten.
Wir wissen allerdings, dass auch andere Tiere ein Hymen haben. Dazu gehören unter anderem Pferde, Afrikanische Elefanten und Meerschweinchen. Bei Meerschweinchen verschließt sich das Hymen nach jeder reproduktiven Phase wieder, was das Eindringen von Keimen erschwert.
Menschen haben leider nicht dieselben Superkräfte wie Meerschweinchen. Einige Wissenschaftler:innen vermuten jedoch, dass das Hymen bei Neugeborenen Infektionen verhindern könnte.
Die meisten Menschen werden nämlich mit einem geschlossenen Hymen geboren. Bei Embryonen entwickelt sich die Vagina zunächst als gefüllte Röhre und erst im weiteren Verlauf der Entwicklung löst sich die „Füllung“ auf. Zurück bleiben nur ein Hohlraum (die Vagina) und das Hymen.
Das Hymen bleibt allerdings nicht bis zum ersten Sex verschlossen, sondern reißt bei den meisten Menschen wenige Tage nach der Geburt ein. Während der ersten vier Lebensjahre ist das Hymen dick und faltig. In den nächsten drei bis vier Jahren wird das Hymen dünner und bekommt eine glattere Kante.
Mit dem Einsetzen der Pubertät wird das Hymen wieder dicker und gleichzeitig elastischer. Zu dieser Zeit kommt es typischerweise zur Dehnung oder einem Riss im Hymen.
Das Hymen kann während einer Schwangerschaft weiter an Elastizität gewinnen, da der Körper zu dieser Zeit zusätzliches Östrogen produziert. Während einer Geburt kann das Hymen weiter gedehnt und eingerissen werden.
Bei einer absoluten Minderheit von Menschen mit Vulva kann es passieren, dass sich das Hymen bis zur Pubertät nicht öffnet. Diese Fehlbildung wird Hymenalatresie genannt. Wie oft sie vorkommt, ist nicht abschließend geklärt. Einige Studien gehen davon aus, dass einer von tausend Menschen mit Vulva davon betroffen ist, andere sprechen von einer Wahrscheinlichkeit von eins zu zehntausend.
Teilweise wird die Hymenalatresie schon im Kindesalter diagnostiziert. Es kann aber auch vorkommen, dass sie bis zur Pubertät nicht auffällt. Setzt dann die Monatsblutung ein, kann das Blut nicht abfließen und staut sich im Körperinneren auf, was Entzündungen und sogar Nierenversagen verursachen kann.
In der Pubertät kann eine Hymenalatresie folgende Symptome verursachen:
Sie kann aber auch zu Rückenschmerzen und anderen unspezifischen Symptomen führen. Wir haben Eli Scriver gefragt, was man bei einem Verdacht auf eine Hymenalatresie machen kann:
„Wenn du Schmerzen hast, solltest du definitiv eine:n Gynäkolog:in kontaktieren. Hast du keine Schmerzen, bist aber trotzdem unsicher, dann nimm einen Spiegel zur Hand und schaue dir deine Vulva an. Kannst du die Vaginalöffnung finden? Anfangs kann sie schwer zu finden sein. Schau dir zur Orientierung Bilder an und denke daran, dass jede Vulva anders aussieht.“
Bei einer Hymenalatresie und auch bei Hymen mit besonders kleinen Öffnungen wird ein kleiner chirurgischer Eingriff durchgeführt, bei dem die Öffnung im Hymen etwas erweitert wird. Der Eingriff ist risikoarm und Betroffene haben danach in der Regel keine Probleme mehr, Tampons zu benutzen oder Sex zu haben.
Eigentlich müsste es einleuchten, dass die meisten Hymen nicht vollkommen geschlossen sein können. Ansonsten würden weder vaginaler Ausfluss noch Menstruationsblut abfließen können und dass dies schon vor dem ersten Mal Sex geschieht, sollten die meisten Menschen wissen.
Trotzdem sehen sich überall auf der Welt noch heute Menschen mit Vulva dem Druck ausgesetzt, mit einem intakten Hymen in die Ehe einzugehen und haben Angst, in der Hochzeitsnacht nicht zu bluten.
Obwohl selbst Wissenschaftler:innen die Hymen von Menschen ohne sexuelle Erfahrung nicht von den Hymen Schwangerer unterscheiden können, werden bis heute „Jungfräulichkeitstests“ durchgeführt.
Kommen diese Tests zu dem Schluss, dass eine Person mit Vulva keine „Jungfrau“ mehr ist, kann das ihren sozialen und finanziellen Status und sogar ihre Gesundheit und ihr Leben gefährden.
Auch in Deutschland bieten darum einige Gynäkolog:innen und plastische Chirurg:innen operative Hymenrekonstruktionen an. Bei dem umstrittenen Eingriff wird das Hymen teilweise wieder zugenäht.
Weil ein chirurgischer Eingriff für viele nicht infrage kommt, gibt es zudem zahlreiche Online-Shops, die auch in Deutschland „künstliche Hymen“ verkaufen. Solche Anbieter werben damit, die „Ehre zu retten“ und verkaufen für über 50 Euro jeweils zwei Kapseln, die in die Vagina eingeführt und beim Sex eine künstliche Blutung erzeugen sollen.
Zum Vergleich: In Online-Shops für Karnevalsbedarf kosten vergleichbare Produkte weniger als einen Euro pro Kapsel.
So wird mit der Unsicherheit und der echten Gefahr, in der manche Menschen mit Vulva schweben, eine Menge Geld verdient und das Stigma rund um die Sexualität von Menschen mit Vulva weiter verstärkt.
Ungeklärt ist bisher zudem, ob diese Produkte der Vagina schaden können. Grundsätzlich wird davon abgeraten, Produkte mit möglicherweise schädlichen Stoffen in die Vagina einzuführen, da dies ein Gesundheitsrisiko bedeuten kann.
Wir haben Eli Scriver gefragt, was er von diesen Produkten hält: „In unserer Gesellschaft wird Jungfräulichkeit stark überbewertet und obwohl weniger als die Hälfte der Menschen beim ersten Mal bluten, werden solche Blutungen immer noch mit Jungfräulichkeit gleichgesetzt. Zudem wird Jungfräulichkeit signifikant fetischisiert.“
„Es gibt also viele Gründe, eine Blutung beim ersten Mal vortäuschen zu wollen. Die Nachfrage nach künstlichen Hymen ist bedauerlich, aber das Produkt ist eine viel bessere Alternative im Vergleich zu einer Operation.“
Die Umbenennung des Hymens in Schweden hat nicht allein die Vorurteile gegenüber der Sexualität von Menschen mit Vulva verringert. Parallel fand eine Aufklärungskampagne statt, die junge Menschen und Menschen in Gesundheitsberufen darüber aufklärte, warum das Hymen umbenannt wurde.
Mittlerweile gibt es auch in Deutschland immer mehr Lehrbücher für den Schulunterricht, in denen über das Hymen aufgeklärt wird. Je mehr Informationen darüber zur Verfügung stehen, desto mehr wird der Anspruch an Menschen mit Vulva sinken, beim ersten Sex zu bluten oder eine Vaginalöffnung mit einem bestimmten Aussehen vorweisen zu können.
Auch du kannst einen Beitrag zum Abbau von Vorurteilen leisten, sagt Eli Scriver: „Die wichtigste und wirkungsvollste Sexualaufklärung findet zwischen Menschen statt, die einander vertrauen. Informiere deine Freund:innen, andere junge Menschen und Eltern über das Thema.“
Das kannst du beispielsweise tun, indem du diesen Beitrag oder das Video von FUNK zum Thema teilst.
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