Woher kommt die Scham in Schamlippen?

Und wie werden wir die Scham wieder los?

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Viele Körperteile haben merkwürdige Namen. Der Ellenbogen ist eigentlich eine Ellenspitze, der Adamsapfel wohl eher eine Adamskirsche und die Ohrmuschel frisst gar kein Plankton. Doch unter der Gürtellinie hat sich ein Wort in den Sprachgebrauch eingeschlichen, dass wir näher beleuchten sollten.

Die Rede ist von den Schamhaaren, dem Schamhügel, Schambein, Schambereich oder ganz einfach der Scham.

Bei Menschen mit einer Vulva spricht man zudem vom Schamdreieck und den Schamlippen.

Auch Bezeichnungen wie Scheide, Scheidenvorhof, Vagina und Jungfernhäutchen haben problematische Bedeutungen, auf die wir näher eingehen werden.

Was liegt noch mal wo?

Weil sie gerne verwechselt werden, sollten wir kurz die Lage dieser Körperteile klären. Eine ausführliche Beschreibung von Vulva, Vagina und Co. findest du hier.

Vagina und Scheide werden oft als allgemeine Bezeichnung für die Geschlechtsteile von Menschen mit Vulven verwendet.

Beide Wörter beschreiben jedoch lediglich den muskulären Schlauch, der von der Vaginalöffnung zum Gebärmutterhals führt. Er kann Penissen, Fingern oder Sex-Spielzeugen als Eingang und Babys bei der Geburt als Ausgang dienen. Den Bereich um die Vaginalöffnung nennt man Scheidenvorhof.

Das Wort Vulva dagegen beschreibt alle äußeren Geschlechtsteile von Menschen mit Vaginen. Dazu gehören die Klitoris, der Scheidenvorhof mit der Vaginal- und der Harnröhrenöffnung und die Schamlippen. Die Schamlippen sind Hautfalten, welche den Scheidenvorhof umschließen.

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Der Schamhügel ist bei allen Geschlechtern die Hauterhebung über der Vulva oder dem Penis, auf der die meisten Schamhaare wachsen und die das darunterliegende Schambein vor Stößen schützt. Bei Menschen mit einer Vulva bezeichnet man die Wuchsform der Schamhaare auch als Schamdreieck.

Woher kommt die Scham?

Der Fachausdruck für die äußeren Genitalien von Menschen aller Geschlechter ist Pudendum. Das Wort leitet sich vom lateinischen „pudere“ ab, was „sich schämen“ bedeutet. Verwendet wird das Wort jedoch fast ausschließlich in Bezug auf Menschen mit Vulven, zwischenzeitlich wurde es in Anatomiebüchern sogar als Synonym für die Vulva aufgeführt.

Abwandlungen von „pudere“ werden außerdem in den Bezeichnungen für verschiedene Nerven und Blutgefäße im Genitalbereich verwendet, wie den Nervus Pudendus.

Die erste bekannte Verwendung des Begriffs Pudendum stammt von dem griechischen Arzt Claudius Galen, der zwischen 129 und 216 v. Chr. lebte und es noch für alle Geschlechter verwendete. Im Jahr 1543 tauchte es dann neben einer merkwürdigen Zeichnung im Anatomieatlas des Arztes Andreas Vesalius auf und beschrieb nur noch das Genital von Menschen mit einer Vulva.

Die Zeichnung gibt einen wichtigen Aufschluss über das Bild, das Vesalius und seine Zeitgenossen von Menschen mit Vulven hatten. Sie soll nämlich die Gebärmutter darstellen, sieht aber eher aus wie ein Penis.

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Zeichnung einer Gebärmutter, die eher nach einem Penis aussieht. Credit: Wellcome Library, London. Wellcome Images
Copyrighted work available under Creative Commons Attribution only licence CC BY 4.0

Das liegt daran, dass die Wissenschaft zu dieser Zeit davon ausging, dass Menschen mit Vulven über dieselben Geschlechtsteile wie Menschen mit einem Penis verfügten und dass diese lediglich eingestülpt seien.

Schon Galen und der Philosoph Aristoteles (384–322 v. Chr.) meinten, dass nur der männliche Fötus genügend „Feuer“ hätte, um seine Geschlechtsteile nach außen zu stülpen und ein vollkommener Mensch zu werden. Damit begründeten sie die Überlegenheit des Mannes über der Frau, die schließlich nur ein halber Mensch sei.

Noch heute werden Menschen mit Penissen oft als Standard und Menschen mit Vulven als Abweichung angesehen. Carcrash-Dummys etwa entsprechen der Anatomie von Menschen mit Penissen, was zu mehr Verletzungen und Todesfällen von Menschen mit Vulven bei Autounfällen führt.

Im Jahr 2014 kam eine Studie zu dem Ergebnis, dass die meisten Anatomielehrbücher fast ausschließlich Körper mit Penissen abbildete, wenn es nicht um die Genitalien von Menschen mit Vulven ging.

Was ist das Problem mit der Vagina und dem Jungfernhäutchen?

Diesem Penis-zentrierten Denken entspringt auch das Wort „Vagina“. Es wurde erstmals vom italienischen Chirurg Matteo Realdo Colombo (1516–1559) verwendet und bedeutet „Schwertscheide“. Ebenso wie eine Schwertscheide ausschließlich den Zweck hat, ein Schwert in ihr aufzunehmen, diente dieser Körperteil seiner Meinung nach dazu, den Penis in sich aufzunehmen.

Colombo hätte die Vagina auch “führt regelmäßig Blut ab“ oder „hier kommen Kinder raus“ nennen können, aber ihre schöpferische Kraft passte weniger gut in sein Weltbild als ihre Funktion für den penetrativen Sex. Diese Sichtweise hat die deutsche Sprache mit dem Wort „Scheide“ unreflektiert übernommen.

Auch das Jungfernhäutchen ist ein mit Wertung aufgeladenes Wort. Es impliziert, dass ein intaktes Jungfernhäutchen eine Person zur Jungfrau macht.

Die Wissenschaft ist sich noch nicht ganz sicher, was die Funktion dieser Schleimhautfalte ist. Weit verbreitet ist jedoch die Annahme, dass sie die Vagina vor Bakterien schützen soll.

Jedenfalls hat das Jungfernhäutchen nicht die Funktion, die sexuelle Vergangenheit einer Person zu verifizieren. Dafür ist es zudem vollkommen ungeeignet, weil der Zustand des Jungfernhäutchens keine Aussage darüber trifft, ob jemand sexuell aktiv ist oder war.

Nicht alle Menschen mit einer Vulva verfügen überhaupt über ein Jungfernhäutchen und sofern es angelegt ist, muss es nicht zwangsläufig beim Sex einreißen oder bluten. Andersherum kann es auch ohne Sex zu einer Blutung des Jungfernhäutchens kommen, etwa beim Sport.

Der Fachbegriff für das Jungfernhäutchen ist Hymen, was der Name des antiken griechischen Gottes der Hochzeit ist. Die Nachricht ist dieselbe: Überprüfe besser vor der Hochzeit die Schleimhautfalte vor der Vagina, wenn du sicherstellen möchtest, dass du einen „unbestellten Acker“ pflügst.

Warum wurden diese Begriffe gewählt?

Der Mythos um das Jungfernhäutchen wird sich so lange gehalten haben, weil ihm solch eine hohe gesellschaftliche Bedeutung zukommt. Vor der Erfindung des DNA-Tests konnten Menschen mit Penissen schließlich nicht mit Sicherheit wissen, ob ihre Kinder nicht doch von jemand anders gezeugt wurden.

Das war natürlich ungünstig, denn Macht und Besitz sollten nur an die eigenen Nachkommen weitergeben. Es galt also, die Sexualität von Menschen mit Vulven dergestalt zu kontrollieren, dass sie vor der Hochzeit mit niemandem Sex hatten. Eine Legende über eine verräterische Schleimhautfalte ist dafür ein gutes Werkzeug.

Auch die Darstellung von Menschen mit Vulven als schwach, unzurechnungsfähig und als Wesen ohne eigene sexuelle Bedürfnisse diente dazu. Legte ein Mensch mit Vulva doch Wert auf die eigenen Bedürfnisse, galt er als wahnsinnig.

Schämen sollten sich Menschen mit Vulven auch für normale Körperfunktionen wie ihre Menstruation. In diesem schmutzigen Zustand durften sie weder Kirche noch Moschee betreten und sollten am besten in einem anderen Bett schlafen.

Schnell wurde das Gefühl der Scham zu einer Eigenschaft, die ausschließlich Menschen mit Vulven zugeschrieben wurde. Schon die antiken Griechen meißelten gerne Penisse an ihre Statuen, während Vulven hinter Tüchern oder Händen verborgen wurden.

Das Schamgefühl sei Menschen mit Vulven angeboren, meinte auch Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) – immerhin einer der wichtigsten Denker der Aufklärung.

Bis ins 17. Jahrhundert hielt sich zudem der aus der Antike stammende Aberglaube, die Leichen von ertrunkenen Menschen mit Vulven würden aufgrund einer naturgegebenen Schamhaftigkeit mit dem Gesicht nach unten treiben, um die Genitalien zu verbergen.

Konnte man die Sexualität von Menschen mit Vulva durch die Scham nicht einhegen, entfernte man sie einfach. Bis vor gar nicht so langer Zeit galt die Entfernung der Klitoris als anerkannte Behandlungsmethode für Krankheiten wie Epilepsie, Wahnsinn und Hysterie – in anderen Worten: eigenwillige Menschen mit Vulva.

Bis heute wird die Entfernung der Klitoris und das Verschließen der Labien in einigen Kulturen als Präventivmaßnahme gegen außerehelichen Sex verwendet.

Die Folgen dieser Bezeichnung

Die Sprache und das Denken im Zusammenhang mit der Vulva hat einen immensen Einfluss darauf, wie Menschen mit Vulven und ihre Sexualität wahrgenommen werden.

1966 entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Urteil, dass Sex nicht nur zu den ehelichen Pflichten gehöre, sondern dass „die Frau (…) ihren ehelichen Pflichten nicht schon damit“ genüge, „dass sie die Beiwohnung teilnahmslos geschehen lässt.“

Auch wenn der Sex ihr keinen Spaß mache, sei es ihr verboten, „Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu tragen“. Dass Sex beiden Beteiligten Spaß machen kann, schienen die Richter nicht zu wissen oder wissen zu wollen.

Obwohl die Frauenbewegung in Deutschland zu dieser Zeit schon über 100 Jahre alt war, galt Sex weiterhin als ein Dienst, den Menschen mit Vulven zwangsläufig ihren Ehepartner:innen gegenüber erbringen mussten. Erst 1997 wurde überhaupt anerkannt, dass es innerhalb einer Ehe zu einer Vergewaltigung kommen kann.

Heute würde sich kein:e BGH-Richter:in mehr für die einseitige Pflicht zum aktiven Sex in der Ehe aussprechen, doch die dahinterliegenden Annahmen sind nach wie vor in vielen Köpfen zementiert und beeinflussen das Selbstbild und Sexleben von Menschen mit Vulven.

Scham macht sprachlos, Sprachlosigkeit verhindert Wissen

Wörter wie Vulva, Schamlippen oder Klitoris kommen noch heute wenigen Eltern über die Lippen, während der Pullermann oder andere Bezeichnungen für den Penis den allermeisten Kindern bekannt sind. Dementsprechend ist es wenig verwunderlich, dass viele Menschen Begriffe wie Vulva und Vagina verwechseln oder gar nichts damit anfangen können.

Ohne diese Begriffe ist es schwierig, ein Gefühl dafür zu bekommen, ob die eigene Vulva normal ist und ob sie sich normal anfühlt. Fragen wie „Wie lang sind eigentlich deine Labien?“ und „Produziert deine Vagina auch so viel Ausfluss?“ wären ohne sie auch dann nicht möglich, wenn sie nicht mit so viel Scham besetzt wären.

Das ist nicht nur ein Problem für das eigene Körperempfinden, sondern auch in der Medizin. Sagt eine Person „Meine Vagina tut weh“, wenn sie eigentlich die Klitoris meint, ist das in etwa so, als würde man sich bei einer Augenentzündung über Halsschmerzen beklagen.

Im Rahmen der #MeToo-Bewegung wurde zudem deutlich, dass viele Betroffene lange nicht von erlittenen Übergriffen berichtet hatten, weil sie schlichtweg nicht benennen konnten, wo sie angefasst wurden und sich dessen schämten.

Vulva Shaming: So viele Gründe für Scham

Ob beim Museumsbesuch oder auf der Schultoilette; Darstellungen von Penissen sind nahezu allgegenwärtig. Hoden und Penisse werden mit positiven, kraftvollen Kosenamen wie Latte, Königskobra, Kronjuwelen oder Lanze bedacht.

Die Vagina dagegen wird mit abwertenden Wörtern wie Möse, Muschi, Loch und Ritze, verniedlichenden Wörtern wie Honigtopf oder Lagune und mit beleidigenden Wörtern wie Fotze oder Fischladen beschrieben. Die Vulva wird sprachlich komplett übergangen.

Während die Königskobra mit jeder Penetration stärker wird, leiert die Vagina angeblich durch zu viel Sex oder Geburten aus und ebenso abstoßend wie sexuell aktive Menschen mit Vulven sind anscheinend Perioden.

Während Werbung für Pflaster gerne ein aufgeschrammtes Knie zeigt, das mit dem neuen Dino-Flugzeug-Pflaster medizinisch versorgt wird, wird in Werbung für Periodenprodukte weiterhin eine blaue Flüssigkeit verwendet. Diese Art von Blut ist anscheinend so abstoßend, dass man es nicht einmal andeuten darf.

Kein Wunder, dass viele nach wie vor nur flüsternd nach einem Tampon oder einer Binde fragen, während man lautstark nach einem Taschentuch oder einer Rolle Klopapier verlangen kann.

Neben der abwertenden Sprache, die Boulevardmagazine für zu faltige und zu operierte, zu dicke und zu dünne Menschen verwenden, hat sich in den 2000er-Jahren der Begriff „Camel Toe“ etabliert. Er bezeichnet das Abzeichnen der Schamlippen unter eng anliegender Kleidung.

Eine Internetrecherche nach dem Begriff fördert neben dem Wikipedia-Eintrag hauptsächlich Fetisch-Websites und Boulevardmagazine zutage, welche die peinlichsten oder schockierendsten Camel-Toe-Momente des Jahres versprechen.

Während es anscheinend schockierend ist, wenn eine Vulva nicht wie ein Brötchen aussieht, wird bei der Unterwäschewerbung für Menschen mit Penissen noch extra ausgestopft. Der Penis kann also nicht groß genug und die Vulva nicht klein genug sein.

Alle diese Phänomene sind Beispiele für Vulva Shaming – eine Unterkategorie des Body Shamings. Indem Vulven und Vaginen als abstoßend oder unnormal bewertet werden, verfestigen sich die uralten Vorstellungen über die Unreinheit der Vagina und dementsprechend die Scham.

Wie sich die Scham auf die Selbstwahrnehmung auswirkt

Die schambehaftete Sprache rund um Vulven und Vaginen und ihre Darstellungen in den Medien haben einen Einfluss darauf, wie ihre Träger:innen über den eigenen Körper und die eigene Sexualität denken.

Sowohl in Pornos als auch in nicht expliziten Medieninhalten werden vornehmlich glatt rasierte Vulven mit geschlossenen Schamlippen gezeigt. Statt an die Vulven erwachsener Menschen erinnern diese Darstellungen an vorpubertäre Kinder.

Das verunsichert nicht nur alle Menschen mit Vulven, die nicht wie ein Brötchen aussehen, sondern trifft auch eine Aussage über ihre Sexualität: Gewünscht wird eine junge Vulva, die nicht viel über ihre eigenen Wünsche weiß und diese dementsprechend nicht verbalisieren kann.

Das Wort Scheide impliziert eine passive Sexualität ohne eigenen Antrieb oder eigene Lust. Verstärkt wird diese Annahme durch die Art und Weise, wie über Sex mit Personen mit Vulven gesprochen wird: Sie werden genommen oder es wird ihnen besorgt. Das klingt nicht gerade nach Sex, der von beiden Beteiligten gestaltet wird und beiden Spaß macht.

Diese Sprache beeinflusst nicht nur Erwachsene und Jugendliche, sondern auch Kinder. Auf ihrer Webseite berichtet die Sexualpädagogin Cornelia Lindner von ihren Erfahrungen aus der Kinder- und Jugendarbeit.

Viele Kinder mit Vulven wüssten nicht einmal, dass sie sich selbst am Genital berühren dürfen. Einen Tampon mit einem abgerissenen Schnürchen würden sie lieber mit einer Pinzette als mit den Händen entfernen.

Die Mythen über ausgeleierte Vaginen, verräterische Jungfernhäutchen und die unrealistischen Darstellungen von Vulven verleiten zudem immer mehr Menschen zu chirurgischen Eingriffen wie Schamlippenverkleinerungen, Vaginalverengungen und Hymen-Rekonstruktionen.

Wurden im Jahr 2015 noch 5.295 Schamlippenverkleinerungen durchgeführt, waren es im Jahr 2018 bereits 8.743 Eingriffe.

Die Scham und die Sexualität

Wie sich die unrealistischen Darstellungen von Vulven und die abwertende Sprache über sie auf die Sexualität von Menschen mit Vulven auswirken, hat die US-amerikanische Journalistin Peggy Orenstein bei der Recherche zu ihrem 2017 veröffentlichten Buch „Girls & Sex“ untersucht.

Dafür hat sie drei Jahre lang mit Menschen mit Vulven im Alter zwischen 15 und 20 Jahren über ihre Einstellungen zu und Erfahrungen mit Sex gesprochen. Sie ist zu dem Schluss gekommen, dass Menschen mit Vulven heute zwar Sex als Selbstverständlichkeit ansehen, Lust aber nicht. Diese Ergebnisse präsentiert sie außerdem in einem TED-Talk.

Oralsex sahen viele der Befragten als Mittel an, um nicht „wirklich“ mit einer Person mit Penis schlafen zu müssen und diese „zufriedenzustellen“. Selbst verzichteten junge Menschen mit Vulven oft auf Oralsex, weil sie Angst hatten, ihr Gegenüber könnte sich vor ihrer vermeintlich unnormalen Vulva ekeln.

Sex wurde von den Befragten mit Vulven schon dann als gut bewertet, wenn sie keine Schmerzen dabei hatten und sich ihrer Partnerin oder ihrem Partner dabei verbunden fühlten. Menschen mit einem Penis dagegen beurteilten Sex als gut, wenn sie einen Orgasmus hatten.

Schlechten Sex dagegen beschrieben die Befragten mit Vulven mit Wörtern wie schmerzhaft, beschämend, deprimierend und erniedrigend, während Befragten mit Penissen diese Wörter nie in ihren Antworten verwendeten.

Weniger als die Hälfte der Befragten mit einer Vulva im Alter zwischen 14 und 17 hatte jemals masturbiert. Warum Masturbation eine Schlüsselrolle beim Entdecken der eigenen sexuellen Präferenzen spielt, erklären wir hier.

Wie weit diese Ergebnisse Schlüsse auf die Sexualität von heutigen Kindern und Jugendlichen in Deutschland zulassen, ist schwer einzuschätzen. Zum einen stammen die Ergebnisse aus dem Jahr 2017 und seither hat sich die Diskussion über Scham und Sexualität weiterentwickelt.

Zum anderen stammen die Ergebnisse aus den USA. Peggy Orenstein hat einen Vergleich zu Kindern in den Niederlanden angestellt und dabei herausgefunden, dass diese viel fortschrittlichere Einstellungen zu Sex haben.

Sie führt das darauf zurück, dass der Sexualkundeunterricht in den Niederlanden nicht nur über die Gefahren von Sex – wie ungewollte Schwangerschaften und sexuell übertragbare Krankheiten – aufklärt, sondern auch über Themen wie sexuelle Lust.

Da Deutschland kulturell den Niederlanden näher ist als den USA, sieht es bei uns vermutlich nicht ganz so schlimm aus, wie es Peggy Orensteins Untersuchungen vermuten lassen.

Doch auch bei uns gibt es noch viel zu tun, wie das Vorwort von Pro Familia zur deutschsprachigen Ausgabe von „Girls & Sex“ verrät. Darin schreiben sie über ihre Arbeit in Deutschland:

„In unseren sexualpädagogischen Jugendgruppen treffen wir Mädchen, die unsicher sind, was ihre sexuellen Wünsche betrifft, sich nicht trauen, klar ja oder nein zu sagen, die ihren eigenen Körper eklig finden. Mädchen, die zwar reflektieren, dass Jungensexualität anders bewertet wird als Mädchensexualität, dem aber keine Strategien entgegensetzen können. Deren neugieriger, lustvoller Umgang mit Sexualität sie Demütigung und Beschämung fürchten lässt – die die Erfüllung sexueller Wünsche ihrer Partner mit Liebe verwechseln …“

Die Sprache muss sich ändern – aber wie?

Einen Beitrag zu mehr Selbstakzeptanz und einer selbstbestimmten Sexualität von Menschen mit Vulven kann eine Sprache schaffen, die sich nicht mehr um Scham und Schuld dreht.

Fortschritte im akademischen Bereich

Im akademischen Bereich hat sich in der Hinsicht schon einiges getan. Die „Terminologia Anatomica” (das international wichtigste Anatomielexikon) führte “Pudendum” bis 2019 als Synonym für „Vulva“. In der aktuellen Ausgabe wurde das Wort jedoch gestrichen.

Der Begriff taucht zwar noch als Bestandteil in Wörtern wie Nervus Pudendus auf, doch deren Umbenennung ist zugegebenermaßen schwieriger als das Streichen eines Synonyms.

Alternativen im allgemeinen Sprachgebrauch

Bei der Suche nach Wörtern für Geschlechtsteile schauen die meisten Menschen jedoch nicht in anatomischen Lexika nach, sondern eher im Duden. Doch nach Alternativen zu Schamlippen, Schamhaaren und dem Schambein sucht man hier vergeblich, obwohl es bereits gute Alternativen für viele dieser Wörter gibt.

Eine dieser Alternativen ist das Wort „intim“. Es stammt vom lateinischen Wort „intimus“ ab, was „der Vertrauteste“ oder „der Innerste“ bedeutet. So kann man etwa Schamhaare und Schambereich durch Intimhaare und Intimbereich ersetzen.

Dementsprechend würde sich das Wort „Intimlippen“ statt „Schamlippen“ anbieten. Ein noch präziseres Wort ist allerdings „Vulvalippen“, denn genau dort liegen die Hautfalten. Deshalb setzt sich aktuell eine Petition dafür ein, dass der Duden die Schamlippen gegen Vulvalippen austauscht.

Auch das Wort Venuslippen wird immer wieder verwendet. Venus ist die römische Göttin der Liebe und Schönheit. Schönheit ist zwar besser als Scham, transportiert aber auch eine gewisse Erwartung an das Aussehen der Vulva und die geschlechtliche Identität ihrer Träger:innen.

Das Wort „Venushügel“ existiert nämlich schon als Alternative zum Wort „Schamhügel“ im Duden, es wird aber explizit als „weiblicher Schamhügel“ definiert. Das ist zunächst unfair gegenüber allen Menschen mit Penis, die sich demzufolge weiterhin für den Stoßdämpfer über dem Schambein schämen sollen.

Die Gleichsetzung des Wortes „Venus“ mit dem Attribut „weiblich“, macht das Wort aber auch ungeeignet als Beschreibung für die Vulvalippen. Denn nicht jeder Mensch mit Vulvalippen identifiziert sich als Frau und nicht jede Frau hat Vulvalippen.

Entweder sollten wir also Venushügel auf alle Geschlechter anwenden oder ein Wort wie Intimhügel verwenden. Statt Schambein könnte man wiederum Stoßbein sagen, wie Andreas Winkelmann und Giulio De Matteis 2022 in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift vorgeschlagen haben.

Wie oben beschrieben sind Vagina und Hymen zwar auch keine unproblematischen Begriffe. Weil die Wortbedeutung den meisten Menschen jedoch nicht bewusst sind, sind sie aber besser als Scheide und Jungfernhäutchen. Statt Scheidenvorhof könnten wir dementsprechend einfach Vaginavorhof sagen.

Veränderungen im Duden und in Schulbüchern

Für alle diese Wörter könnte man einzelne Petitionen anstrengen. Der Duden gibt allerdings nicht die richtige deutsche Sprache vor, er dokumentiert sie nur. Ändert sich die Sprache, ändern sich auch die Einträge im Duden. In den vergangenen Jahren wurden deshalb ganz ohne Petition Wörter wie WhatsApp-Gruppe, Ladesäule, Mandelmilch oder Flugscham aufgenommen.

Wörter werden neu aufgenommen, wenn sie beispielsweise in Zeitschriftenartikeln, Blog-Beiträgen, Reden oder Fernsehsendungen, aber auch Reparaturanleitungen und Werbetexten vorkommen. Die Duden-Redaktion durchforstet ständig das Internet auf der Suche nach neuen Wörtern und nimmt sie in den Duden auf, sobald sie regelmäßig verwendet werden und allgemein anerkannt sind.

Das beste, was man für eine gerechte und präzise Sprache tun kann, ist also das Verwenden von besseren Begriffen. Deshalb verwenden wir auf Fraulila Begriffe wie „Schamlippen“ oder „Schamhaare“ nicht mehr.

Auch der Schulbuchverlag Klett macht mit und verwendet in seinen Biologiebüchern nun das Wort „Vulvalippen“ und spricht nun auch von „inneren und äußeren“ statt „kleinen und großen“ Vulvalippen, denn die äußeren sind nicht zwangsläufig größer als die inneren.

Der Verlag Cornelsen räumt in seinem Biologiebuch dafür mit dem Mythos rund um das Jungfernhäutchen auf und führt das Wort „Hymen“ als Alternative ein. Diese Begriffe werden sich immer weiter durchsetzen, wenn genügend Menschen sie im Alltag sprechen oder schreiben.

Fazit: Sprache bewirkt Veränderung

Natürlich lassen sich nicht alle der oben beschriebenen Probleme lösen, indem man die Schamlippen im Duden umbenennt. Die Ursachen hierfür liegen in abwertender Sprache und Vorstellungen über die Vulva, die einander verstärken. Neue Wörter können einen Beitrag dazu leisten, das Stigma rund um die Vulva und Vagina aufzulösen.

Ein anderer wichtiger Beitrag liegt darin, wie wir miteinander über Vulven, Vaginen und Sex sprechen. Gefragt sind dabei hauptsächlich Ärzt:innen, Lehrer:innen und Eltern.

Neben den Darstellungen in Biologiebüchern können im Sexualkundeunterricht auch die Bildungsangebote von Pro Familia und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder Anschauungsmaterialien wie The Great Wall Of Vulva verwendet werden.

Wie Eltern konstruktiv mit ihren Kindern über ihre Genitalien sprechen können, erfährst du in diesem Interview mit der Sozial- und Sexualpädagogin Tina Reigel.

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